Obduktion eines Außerirdischen? Kritisches zum „Santili-Film“

Dr. Achim Th. Schäfer*. Von dem heute „Santilli-Film“ oder auch „Roswell-Film“ genannten Machwerk hörte ich zum ersten Mal am 26. Juni 1995. An diesem Tag, gegen 22.15 Uhr, strahlte der Fernsehsender RTL im „Extra-Magazin“ (Moderation: Birgit Schrowange) einen Beitrag von Karlheinz König aus, in dem die Existenz eines Filmes behauptet wurde, der die Sektion (Leichenöffnung) eines außerirdischen Lebewesens zeigen soll. Gezeigt wurden allerdings zunächst nur zwei Standphotos, von denen auf dem einen eine weibliche „Leiche“ mit aufgetriebenem Bauch und eigenwilligen Gesichtszügen und auf dem anderen eine Hand mit angeblich sechs Fingern undeutlich zu erkennen waren.

Ausschnitte des besagten Filmes wurden in der gleichen Magazinsendung am 28. August und am 4. September 1995 gesendet, wobei in dem Beitrag vom 28. August auch ein Interview mit dem Münchener Rechtsmediziner Professor Eisenmenger gezeigt wurde, der sich kritisch zu Einzelheiten der dargestellten Leichenöffnung äußerte. Die Diskussion um diesen Film sollte zur europaweiten Sommerloch-Story des Jahres 1995 werden: Mir liegen inzwischen Zeitungsausschnitte in englischer, französischer und niederländischer Sprache vor, die sich mit dem Film beschäftigen und auch der „Spiegel“ (Ausgabe vom 7. August 95) war sich nicht zu schade, einen – ironisch gehaltenen – Beitrag darüber zu bringen.

Das fragliche Filmmaterial befindet sich im Besitz des Londoner Geschäftsmannes Ray Santilli, der es angeblich von einem ehemaligen amerikanischen Militärkameramann gekauft hat. Santilli gibt an, der Film sei 1947 im Zusammenhang mit dem ,Roswell-Ereignis“ entstanden und habe sich bisher im Besitz des ungenannten Kameramannes befunden. Ausschnitte des Filmmaterials, die eine der angeblich vier Obduktionen und einige Metallteile zeigen, werden inzwischen – angereichert durch einige Interviews mit Zeugen – von Santilli auf Videoband vermarktet.

Als „Roswell-Ereignis“ wird in UFO-gläubigen Kreisen ein angeblicher Absturz eines unbekannten (und daher selbstverständlich außerirdischen) Flugobjektes nahe der Kleinstadt Roswell im Bundesstaat New Mexiko im Jahre 1947 bezeichnet. Wenn es auch aus offiziellen Kreisen alsbald hieß, es sei ein höchst irdischer Wetterballon gewesen, der abgestürzt sei, und wenn auch ein Augenzeuge berichtete, er habe an der Absturzstelle große Mengen Folie, Balsaholz und Klebeband gefunden, also Materialien, von denen wir in einem Raumschiff eher wenig erwarten, wollten die Gerüchte doch kein Ende nehmen. Ihren Höhepunkt erreichten sie mit der Angabe, das Militär habe auch die bei dem Absturz. getötete oder kurz darauf an ihren Verletzungen gestorbene Besatzung des außerirdischen Raumschiffes geborgen und hielte diese Leichen geheim.

Soweit die zum Film gehörende Legende in knapper Form. Da der Schwarzweißfilm selbst keinerlei Hinweis auf Ort und Zeit seiner Entstehung gibt, dürfte es hier nicht weit führen, darüber zu spekulieren, ob ein Zusammenhang mit der Stadt Roswell oder mit dem Jahre 1947 überhaupt besteht. Meine weiteren Ausführungen stützen sich daher ausschließlich auf die bisher veröffentlichten Sequenzen des Filmes. Was ist da zu sehen?
Man erkennt auf einem Tisch, der am ehesten an eine ärztliche Untersuchungsliege mit einigen gebohrten Löchern erinnert, ein „Wesen“ (so sei es zunächst genannt), das durchaus menschlich aussieht. Es hat zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf mit Augen, Nase, Mund und Ohren. Bauch und Brustkorb lassen sich differenzieren, Schulter-, Hüft-, Knie- und Ellenbogengelenke klar abgrenzen, Hände und Füße identifizieren. Man sieht sogar die Vorwölbungen der Oberarm- (Musc. deltoideus und biceps) und Halsmuskeln (Musc. sternocleidomastoideus). Außer dem wahrscheinlichen Vorliegen von sechs Fingern und sechs Zehen (die Aufnahmen sind zu unscharf für eine absolut sichere Bestimmung) finden sich keine Abweichungen vom allgemein bekannten Körperbau des Menschen. Allerdings bestehen eigenartige Gesichtszüge und ein aufgetriebener Bauch. Dieses Wesen ist völlig unbekleidet, es hat eine weibliche äußere Geschlechtsöffnung, keine erkennbaren Brüste, Brustwarzen und Bauchnabel, eine fleckige oder marmorierte Hautfarbe, keinerlei Behaarung und einen großen Gewebsdefekt am rechten Oberschenkel.

Zwei Personen, die durch Schutzanzüge und Kopfhauben mit Sichtfenstern völlig unkenntlich sind, führen eine Leichenöffnung an diesem Wesen durch. Aus der Verletzung am Oberschenkel wird eine Gewebsprobe entnommen. Dann werden Brust- und Bauchhöhle durch einen Y-förmigen Längsschnitt eröffnet, d.h. die Schnittführung beginnt an beiden Halsseiten, diese Schnitte werden vor dem Brustbein durch einen kurzen Querschnitt zusammengeführt und als Längsschnitt bis zum Schambein fortgesetzt. Diese Schnittführung ist im angelsächsischen Bereich bei pathologischen Obduktionen üblich. Beim Einschnitt fließt eine dunkle Flüssigkeit ab. Aus den eröffneten Körperhöhlen werden Teile („Organe“) entnommen und in bereitgehaltene Glasschalen gelegt.
Von den Augen wird eine davor liegende Membran oder Haut abgezogen. Die Kopfschwarte wird durch einen über die Höhe des Kopfes von Ohr zu Ohr gelegten Schnitt eröffnet und dann nach vorne über die Stirn geklappt. Mit einer Handsäge wird die Schädelkapsel eröffnet und aus der Kopfhöhle ebenfalls ein Organ („Gehirn“) entnommen. Dieses zeigt eine dunkle Oberfläche, an der typische Hirnwindungen nicht sichtbar sind.

Leider ist die Kameraführung des Santilli-Filmes so, dass alle aus der Körperhöhle entnommenen Organe unscharf abgebildet sind. Tatsächlich lässt sich kein inneres Organ des Menschen klar erkennen, man sieht nur unförmige, dunkle Gebilde. Angesichts des unten noch zu führenden Nachweises, dass dieser Film auf jeden Fall nicht die Obduktion eines außerirdischen Wesens zeigt, ist eine Diskussion über Einzelheiten hier jedoch unnötig.

Viele Details des Filmes sind in Skeptiker-Kreisen (und nicht nur in diesen) intensiv diskutiert worden. Warum hat z.B. das gezeigte Wesen keine Haare, was bedeuten die Gesichtszüge mit übergroßen Augen, kleiner Nase, kleinem Mund und tiefliegenden, unförmigen Ohren? Warum sind Bauchnabel und Brustwarzen nicht zu erkennen? Wieso ist der Bauch aufgetrieben, wieso hat das Wesen sechs Finger und Zehen? Warum fehlen die Gehirnwindungen? Was bedeutet die „Vermummung“ der Obduzenten, wieso findet die Obduktion nicht auf einem regulären Obduktionstisch statt?

Dabei haben sich, was dem Leser nicht vorenthalten werden soll, zwei unterschiedliche Standpunkte herauskristallisiert. Meiner Meinung nach zeigt der Film die Obduktion eines verletzten, missgebildeten, weiblichen Kindes. Der Gesichtsausdruck und die Sechsfingrigkeit lassen an eine Missbildung aus dem Kreis mit dem schönen Namen Akrozephalopolysyndaktylie-Syndrome denken, die zwar selten, aber doch gelegentlich familiär gehäuft vorkommen. Viele Einzelheiten (Haarlosigkeit, Fehlen von Bauchnabel und Brustwarzen, aufgetriebener Bauch) sind darüber hinaus verständlich, wenn man davon ausgeht, dass an der Leiche bereits Fäulnisprozesse eingesetzt haben. Dies würde auch die Vermummung der Obduzenten zwanglos als Schutzmaßnahme gegen den Leichengeruch erklären. Das Gehirn sieht genauso aus wie eines, dem ein geronnener Blutfilm aufliegt, der die Windungen überdeckt (der Fachausdruck heißt Subduralhämatom). Auch lassen gewisse Einzelheiten, so die an der Innenseite der aufgeklappten Bauchhaut erkennbare körnige Struktur, die dem wirklichen Aufbau des menschlichen Unterhautfettgewebes ähnelt, an das Vorliegen einer menschlichen Leiche denken. Die an einigen Stellen zu erkennende „Weichheit“ der Gewebe d.h. ihre Nachgiebigkeit auf Druck oder Zug, entspricht genau der echter Gewebe.

Andere Merkmale, so die vor den Augen liegenden Membranen, finden auf diese Weise keine Erklärung. Daher besteht auch die Ansicht, die im Film gezeigte Obduktion sei eine Totalfälschung, etwa unter Verwendung einer speziell hergerichteten Puppe. Auch der improvisierte Obduktionstisch und die beim Hautschnitt austretende, dunkle Flüssigkeit lassen an eine – wie auch immer geartete – Manipulation denken. Es entspricht nämlich eher laienhafter Meinung, dass bei der Leichenöffnung aus den Schnitten Blut austritt. In Wirklichkeit wird dies nur in seltenen Ausnahmefällen gesehen, denn nach dem Tode besteht kein Blutdruck mehr, der eine derartige Wunde zum Bluten bringen könnte, viel eher sackt das vorhandene Blut – der Schwerkraft folgend – in die rückwärtigen Partien der Leiche, wo es die Totenflecken bildet.

Eines aber ist an der gezeigten Obduktion grundlegend falsch. Daher kann mit Sicherheit gesagt werden, dass der Santilli-Film auf jeden Fall nicht die Obduktion eines außerirdischen Wesens zeigt. Um dies zu verstehen, sei etwas weiter ausgeholt:
Es gibt nämlich zwei wesentlich verschiedene Vorgehensweisen, einen menschlichen (und nicht nur menschlichen) Körper nach dem Tode zu untersuchen. Die eine Methode wollen wir, mangels besserer Bezeichnung, die anatomische Obduktion (oder Präparation, Sektion, Autopsie) nennen, die andere die pathologische.
Bei der anatomischen Vorgehensweise geht es darum, den Aufbau des Körpers kennen zulernen. Die großen Anatomen der Renaissancezeit (Andreas Vesalius, Silvius, auch Leonardo da Vinci) haben so obduziert. Das weltberühmte Gemälde von Rembrandt „Die Anatomie des Dr. Tulp“ zeigt eine solche Obduktion. Heute noch lernt jeder Medizinstudent den Aufbau des menschlichen Körpers durch eine anatomische Sektion kennen und ich selbst habe vor Jahren als Student der Biologie den Aufbau Weichtieren, Fischen u.ä. mittels der anatomischen Sektionstechnik erlernt.
Diese besteht darin, dass nach der Eröffnung der äußeren Körperumhüllung schichtweise präpariert wird. Zunächst werden die Muskeln in ihrem Ursprung und Ansatz untersucht, auch der Verlauf von Blutgefäßen und Nerven wird studiert. Nach Abheben der oberflächlichen Muskelschicht präpariert man die tieferen Schichten, seien es weitere Muskeln, seien es Knochen und Gelenke, deren Festigkeit bzw. Beweglichkeit man untersucht, seien es Organe, über deren Aufbau und Funktion man Erkenntnisse sammelt.

Ganz anders die pathologische Obduktionstechnik. Sie dient dazu, eine Todesursache festzustellen oder einen Verletzungsmechanismus zu rekonstruieren. Hier werden die Körperhöhlen eröffnet und die inneren Organe auf spezifische Schäden untersucht. Die pathologische Vorgehensweise bei der Leichenöffnung setzt jedoch anatomische Kenntnisse voraus. Man muss also wissen, was man zu erwarten hat, z.B. dass sich im Brustkorb ein Herz befindet, dessen besonderen Zustand (Infarkt, Koronargefäßverschluss, Klappenfehler) man untersuchen kann. Tatsächlich müssen, um pathologische Sektionen erfolgreich durchführen zu können, so genaue Kenntnisse eines Organismus vorliegen, wie sie nur durch Hunderte von anatomischen Präparationen gewonnen werden.

Stellt sich beispielsweise dagegen die Frage: „Welche anatomische Struktur befördert die Körperflüssigkeit durch die Gefäße?“, so kann diese bei einem unbekannten Wesen nur durch anatomische Sektionstechnik geklärt werden. Meine eigene Erfahrung mit der Anatomie von Schnecken und Tintenfischen (also nichtmenschlicher Wesen, deren Aufbau keineswegs einfach ist) zeigt, dass erst zahlreiche Einzelsektionen ein Verständnis der Strukturen herbeiführen.
Der Santilli-Film stellt eindeutig den Verlauf einer pathologischen Leichenöffnung dar. Den Obduzenten muss also, wenn das ganze Machwerk nicht überhaupt auf schauspielerischer Darstellung beruht, bekannt gewesen sein, welche anatomischen Strukturen sie zu erwarten hatten. Dies kann aber bei einem Lebewesen außerirdischer Herkunft klarerweise nicht der Fall gewesen sein, selbst wenn das äußere Erscheinungsbild dem des Menschen ähnelt. Der naheliegende Einwand, man hätte auf die zeitraubende und aufwendige anatomische Technik verzichten können, da die geborgenen Wesen hinreichend menschenähnlich waren, widerlegt sich von selbst, denn gerade eine große Ähnlichkeit der Strukturen mit denen des Menschen lässt sich bei unbekannten Wesen nur durch die anatomische Sektionstechnik nachweisen.

Schließlich ist zu bedenken, welche Fragestellung durch die Obduktion überhaupt geklärt werden sollte. Wollte man Krankheitsprozesse nachweisen oder ein Verletzungsmuster aufklären? Dafür wäre eine pathologische Obduktion durchaus angemessen. Andererseits ist eben diese Fragestellung angesichts fremder Lebewesen recht ungewöhnlich. Viel eher wäre doch die Frage zu klären, wie die Anatomie der unbekannten Organismen beschaffen ist. Aber hierfür muss eben eine Leichenöffnung nach anatomischer Technik erfolgen. Auch wenn man mehrere unbekannte Wesen hat, die man studieren will, reicht es nicht aus, eines der Wesen nach der anatomischen und andere nach der pathologischen Methode zu obduzieren, denn die Variationsbreite der Strukturen lässt sich mittels einer einzigen anatomischen Leichenöffnung niemals erkennen.

Der Santilli-Film zeigt eine Obduktionstechnik, die dem einzigartigen und sensationellen Auffinden fremder Lebewesen völlig unangemessen ist. Dies auch noch angesichts der Tatsache, dass eine geeignetere Vorgehensweise seit Jahrhunderten bekannt ist und auch heute noch von jedem Medizin- und Biologiestudenten erlernt wird. Daher drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass der Film auf jeden Fall das nicht zeigt, was von ihm behauptet wird:

Dieser Film zeigt keine Obduktion eines außerirdischen Lebewesens!

 


Achim Th. Schäfer:
*1951 in Duisburg geboren. Studium der Medizin und der Biologie in Aachen. 1986 Promotion am Helmholtz-Institut für biomedizinische Technik in Aachen mit einer Arbeit über die Gefrierkonservierbarkeit menschlicher Endothelzellen. Nach Tätigkeiten in Essen, Hamburg und Bonn seit 1985 Assistent am Institut für Rechtsmedizin in Aachen. Facharzt für Rechtsmedizin seit 1991.

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