Gerhard Mayer, Michael Schetsche, Ina Schmied-Knittel, Dieter Vaitl (Hrsg.): An den Grenzen der Erkenntnis

Gerhard Mayer, Michael Schetsche, Ina Schmied-Knittel, Dieter Vaitl (Hrsg.):
An den Grenzen der Erkenntnis

Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik

 

Mayer - SchetscheUnter dem Begriff der Anomalistik lassen sich all die Forschungsrichtungen subsumieren, deren Themen sich in einer Zone bewegen die von den bisherigen Erkenntnissen der Wissenschaft aktuell noch abweichen, bzw. von diesen noch nicht entdeckt sind. Hierunter fallen all jene Themen, die gemeinhin als Grenzwissen oder paranormal bezeichnet werden. Es geht also zum Beispiel um PSI-Phänomene, Spuk, Kryptozoologie und auch um UFOs.

Ein umfassendes Handbuch, das den Stand der Dinge bzgl. der seriösen Forschung ausführlich darstellt, existierte bislang nicht und mit dem hier besprochenen Werk wird diese Lücke geschlossen.

In 35 Kapiteln und insgesamt 490 Seiten widmen sich eine Reihe von Forschern den einzelnen Themenfeldern. Darunter auch Mitglieder der GEP wie Danny Ammon, Andreas Anton und Gerd H. Hövelmann.

Aufgrund des gewaltigen Umfangs und der zum Teil nur sehr entfernten Anknüpfungspunkte zur UFO-Thematik soll hier nur auf eine Auswahl der Beiträge eingegangen werden, die in unserem Kontext von Interesse erscheinen.

In der Einführung etwa liefern die Autoren Gerhard Mayer, Michael Schetsche, Ina Schmied-Knittel und Dieter Vaitl (allesamt Mitarbeiter des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, IGPP, in Freiburg eine gute Übersicht über Spektrum und Problemstellungen, denen sich anomalistische Forschung gegenübersieht und kommen zu der Feststellung, dass den meisten anomalistischen Themengebieten eine subjektive Evidenz zugrunde liegt und dass es sich oft um Spontanphänomene handelt, die sich einer Replizierbarkeit unter Laborbedingungen entziehen (S. 1 ff.). Eine offensichtliche Feststellung, die bekanntlich auch für das UFO-Phänomen gilt. Hier zeigt sich deutlich auch eine strukturelle Verbindung zu anderen anomalistischen Phänomenen und sicherlich muss überlegt werden, ob dies auch auf inhaltliche Zusammenhänge hinweisen könnte. Gerhard Hövelmann bietet in dem Kapitel »Anomalistik: Geschichte und wissenschaftstheoretische Grundfragen« einen gelungenen Abriss zur Entwicklung der Anomalistik, der Definition ihrer Begrifflichkeiten und auch über die Frage der wissenschaftlichen Legitimation von Anomalistik als Forschungsfeld. Ina Schmied-Knittel kann bezüglich der »Verbreitung außergewöhnlicher Erfahrungen« (zu denen auch UFO-Sichtungen gehören) auch auf eigene, vom IGPP durchgeführte repräsentative Studien zurückgreifen, die aufzeigen, dass außergewöhnliche Erfahrungen (das bedeutet: von den Erlebern als solche wahrgenommene) in der Bevölkerung weit verbreitet sind. Statistisch würde sich zeigen, dass Menschen unabhängig voneinander zu ähnlichen Erlebnissen neigen und dass es bezüglich der Häufigkeit in der Bevölkerung kulturelle Schwankungen gibt. Am weitesten verbreitet zeigen sich derartige Erlebnisse in den USA, Italien und Irland (S. 44 f.). Auch aus derlei Ergebnissen, ebenso solchen demografischer oder geschlechtsspezifischer Art lassen sich neue Forschungsfragen generieren, die sicherlich auch für die UFO-Forschung von großem Interesse sein können.

Andreas Anton und Danny Ammon steuern das Kapitel zum Thema UFOs bei und bieten einen gut strukturierten und informativen Blick auf forschungsrelevante Begrifflichkeiten und Eckpunkte der Forschungsgeschichte. Hier zeigt sich deutlich, dass sich UFOs als Forschungsgegenstand zum einen gut in das weite Themenfeld der Anomalistik einreihen, aber auch, dass die UFO-Forschung, die sich im Gegensatz anderer anomalistischer Themen im Grunde rein ehrenamtlich als Laienwissenschaft konstruiert, trotzdem über ebenbürtige Konzepte verfügt und sich nicht vor berufsprofessionellen Ergebnissen anderer Themengebiete verstecken muss, was die Anspruch an die Qualität des Erarbeiteten anbelangt.

Der Religionswissenschaftler Jonas Richter widmet sich dem Thema Paläo-SETI, das ja aus verschiedenen Gründen oft in die Nähe der UFO-Forschung gestellt wird. Trotz ihrer in der Szene sicherlich höheren Popularität, so zeigt sich hier, kann die Paläo-SETI bei weitem nicht auf einen Fundus derart gut definierte Begriffe und Konzepte zurückgreifen, wie es die UFO-Forschung kann. Und somit steht Richter vor der nicht einfachen Aufgabe, derartiges, oft unspezifisches Material zu Begriffen, Konzepten und methodischen Ansätzen selbst aus der Literatur extrahieren und ordnen zu müssen. Dies ist ihm hierbei sehr gut gelungen und auch die großen Problemlagen in der Forschung werden sehr treffend herausgearbeitet.

Paul Devereux widmet sich »erd- und landschaftsgebundenen Rätseln« und auch hier ergeben sich Zusammenhänge mit der UFO-Forschung. Denn das Spektrum dieser »Rätsel« umfasst auch anomale Lichtphänomene, die der Autor aufgrund ihres örtlichen Auftretens auch mit geologischen Prozessen in Beziehung setzt (S. 366).

Eltjo Haselhoff widmet sich dann auch einem weiteren Thema, das als ufologisches Randgebiet betrachtet werden kann, der Kornkreisforschung. Einen großen Schwerpunkt legt der Autor darauf, auf den anomalen Charakter eines Teils der Formationen zu verweisen und nennt hier Kriterien wie Genauigkeit der Formationen, Niederlegung (statt Knicken) der Halme, Hitzespuren und ähnliches (S. 385). Weitestgehend außen vor bleibt hingegen das Thema Fälschung, das zwar angerissen wird, aber bezüglich seiner Dimension unterrepräsentiert ist, da noch vor noch wenigen Jahren ganze Trupps von Fälschern darum buhlten, wer die am meisten beeindruckenden Formationen erstellen kann.

Dieses Kapitel hat mir tatsächlich weniger gut gefallen, da es mir sehr einseitig und bezüglich der Seriösität der erwähnten anomalen Phänomene nicht ganz durchschaubar erschien.

In weiteren Kapiteln geht es dann um methodische Fragen der Anomalistik und generelle Fragen hierzu, wie den Aufbau von Laborexperimenten oder der Bedeutung von Interviews in der Anomalistik. Diese Kapitel können wahrscheinlich gerade für diejenigen, die auch in der Fallarbeit aktiv werden wollen, von großem Interesse sein. Bieten sie doch viele Anregungen und weiterführende Quellen, um sich hier wichtige Kompetenzen anzueignen.

Insgesamt muss dieses Mammutprojekt »Handbuch« als sehr gelungen bezeichnet werden, denn hier wird tatsächlich eine Lücke geschlossen. Gerade der forschungspraktische Teil in den letzten Kapiteln erscheint mir sehr sinnvoll. Kritisieren ließe sich, dass einige Themen, die in meinen Augen diesem Spektrum zugehören und sicherlich ein eigenes Kapitel verdient hätten, fehlen. Hier fällt mir vor allem die Kryptozoologie ein, die nur am Rande Erwähnung findet und einzelne inhaltliche Kritikpunkte in bestimmten Kapiteln wie zum Beispiel dem erwähnten Kornkreis-Beitrag.

Da, so hoffe ich, dieses Handbuch aber auch Neuauflagen und Überarbeitungen erfahren wird, denn was hier angestrebt wird, ist sicherlich ein Standardwerk, wird es sicherlich auch noch Möglichkeiten für zukünftige Verbesserungen geben.
Andre Kramer

 

504 Seiten, 55 Abb., 5 Tab., geb., ISBN 978-3-7945-2922-3, Preis: 79,99 €
Schattauer Verlag
www.schattauer.de
Stuttgart, 2015

Webseite zum Handbuch auf der Site des Schattauer-Verlags mit Inhaltsverzeichnis, Leseprobe und Video-Podcast mit Dr. Gerhard Mayer: http://www.schattauer.de/de/book/detail/product/1034-an-den-grenzen-der-erkenntnis.html

 

Quelle: JUFOF Nr. 221: 148 ff