Weidenfeld, Nathalie: Alien Abduction Narratives als moderne Erscheinungsform puritanischer Kultur (2007)

Nathalie Weidenfeld:
Alien Abduction Narratives als moderne Erscheinungsform puritanischer Kultur
Kontinuitäten und Diskontinuitäten

Mit »Alien Abduction Narratives« als literarisches Genre beschäftigt sich Nathalie Weidenfeld in ihrer philosophischen Dissertation. Ihr Ziel ist es, Ähnlichkeiten von Entführungserzählungen zur puritanischen Kultur, also rigoroser protestantischer Frömmigkeit, zu finden, aber auch Unterschiede herauszustreichen. Mit dieser Zielsetzung ergibt sich auch die Eingrenzung der Betrachtungen: Es handelt sich um eine am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin betreute Arbeit, die sich demzufolge auch ausschließlich mit der US-amerikanischen Kultur, ihren Eigenheiten und den »Alien Abduction Narratives« als einer solchen Eigenheit befasst.

Kontinuitäten und Diskontinuitäten, so der Ergänzungstitel und die beiden wesentlichen Kapitel der Dissertation, betreffen dabei die genannten Analogien und Unterschiede zu puritanischer Kultur.

Nach einer Erläuterung des UFO- und Entführungsthemas in der US-amerikanischen Populärkultur zieht Weidenfeld Verbindungen zum Science-Fiction-Genre und zeigt Immunisierungsstrategien der »Entführten« und der Entführungsforscher in ihren Thesen auf.

»Kontinuitäten« sieht die Autorin dann in den Aliens als »Primitive«, negativ besetzte Wilde, die in den »Captivity Narratives« unbescholtene zivilisierte Bürger verschleppen. Die Aliens nehmen nach Weidenfeld dabei ab der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts den Platz der Indianer als Primitiv ein.

In den Entführten sieht die Verfasserin dann die Vermittler zwischen den Welten. Familien- und geschlechtsbezogene Spezifika ebenso wie die traumatische spirituelle Natur der Entführungen werden mit den Äquivalenten in der puritanischen Gesellschaft verglichen.

Aber es gibt auch Unterschiede, »Diskontinuitäten«: Aliens verhalten sich zwar ähnlich den »Primitiven«, stammen aber vermeintlich aus einer hochentwickelten technologischen, »edlen« Kultur, die auf unsere eher animalische Gefühlswelt neidisch ist. Darüber hinaus liegen der Entführungsthematik keine biblischen, sondern eher New-Age-Gedanken zugrunde. »Alien Abductions« als »hyperreale Mythen« sind außerdem eng mit den Verschwörungstheorien verknüpft und bieten schließlich eine »culture of celebrity« auf Grund der »Auserwähltheit« der Entführten. Zu diesen Merkmalen gibt es keine Analogien in der puritanischen Kultur.

Unerfreulich, aber in Teilen der Ausrichtung der Arbeit geschuldet, ist in Weiden felds Arbeit zunächst der unvollständige Forschungsstand zur Entführungsthematik. Wenn Weidenfeld die »Alien Abduction Narratives« einleitend den »Mythen, Gerüchten oder individuellen Hysterien« zuordnet (S.24), so ist das als Ätiologie der Erfahrungen ebenso unzureichend wie falsch. Mythen und Gerüchtebildung alleine kann den Gehalt und die Verbreitung der Entführungserzählungen nicht hinreichend erklären. Der bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts und heute völlig veraltete Begriff der Hysterie vermag hier zur Klärung ebenso wenig beizutragen. Wandelt man den Begriff in ein heutiges Analogon um und charakterisiert Entführungserfahrungen als neurotische Störungen, so ist diese These eindeutig zu widerlegen, insofern in mehreren unabhängigen Studien psychopathologische Ursachen ausgeschlossen werden konnten. Dem ist gegenüber zu stellen, dass Weidenfeld ausdrücklich die Frage nach den Ursachen von »Alien Abduction Narratives« in ihre Arbeit nicht integriert. In dieser Hinsicht wäre ein Auslassen der getätigten Vermutungen bezüglich des Status der Erscheinungen die bessere Wahl gewesen.

Ein weiteres Problem für die Leser, die sich durch das Buch einen Wissensgewinn über die Entführungsthematik an sich erhoffen, stellt die Primärliteraturauswahl der Autorin dar: Für ihre Analysen hat sie sich weitestgehend auf nur vier »Entführte« konzentriert: Travis Walton, Whitley Strieber, Debbie Jordan (und ihre Mitautorin und Schwester Kathie Mitchell) und Katharina Wilson. Über Repräsentativität und damit Aussagekraft der abgeleiteten Erkenntnisse über das Entführungsphänomen an sich ließe sich hierdurch sicherlich debattieren. In jedem Falle stimmt es skeptisch, wenn Weidenfeld im Zuge ihrer Recherchen 31 Science-Fiction-»Filme« (es sind auch TV-Serien darunter) angeschaut hat, aber nur 11 Bücher zur Entführungsthematik in ihre Primärquellen aufnimmt. Gleichzeitig macht dies natürlich wiederum den Charakter der Arbeit als kulturwissenschaftliche Untersuchung deutlich.

Eine weitere Problematik geht aus der Kategorisierung hervor, die die Autorin für die Veröffentlichungen zur Entführungsthematik vornimmt (S. 17–23). Sie unterteilt grob gesehen in SETI-Literatur (»wissenschaftliche«, »neutrale« Texte zur Erforschung möglicher außerirdischer Welten und Lebewesen, Pro-UFO-Werke (ausschließlich von »believers« verfasst), fiktionale Werke und »psychoanalytischen, soziologischen, literatur- und kulturwissenschaftlichen Analysen«, bei denen Krankheitsbilder, und gesellschaftliche Besonderheiten als Erklärung für Entführungserzählungen untersucht werden. Problematisch ist dieser Unterteilung nun insofern, als dass sie auf die Klassen »Entführungen sind real / nicht real« zurückgreift. Dies widerspricht der insgesamt nicht ontologisch basierten Arbeitsgrundlage der Autorin und führt zu weiteren Komplikationen. So lassen sich etwa psychologisch ausgerichtete Arbeiten, die ebenfalls von einem neutralen Standpunkt aus endogene und exogene Faktoren bei der Entstehung von Entführungserfahrungen untersuchen, nicht eindeutig zuordnen: Sind sie nun Teil des ersten (neutralen, aber nicht humanwissenschaftlichen) oder des zweiten (psychologischen, aber nicht neutralen) Diskurses? Die Unterteilung ist also einerseits nicht vollständig disjunkt, deckt aber andererseits auch nicht alle Publikationen ab.

Mit der Ausrichtung der Arbeit auf »Abductions« als US-amerikanisches Kulturphänomen bleiben natürlich auch Analysen zu Entführungen als globales Phänomen, ihre kulturspezifischen Eigenheiten oder explizit Untersuchungen zur Verbreitung im deutschsprachigen Raum außen vor.

Die wesentlichen Erkenntnisse, die wir aus Weidenfelds Dissertation entnehmen können, betreffen die Aussagen, dass es Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen »Alien Abduction Narratives« und bestimmtem puritanischen Gedankengut gibt. Aber: Welche Bedeutung ergibt sich hierfür? Wie lassen sich Weidenfelds Ergebnisse in einen kulturwissenschaftlichen Zusammenhang stellen? Welche Erkenntnisse über Entführungen lassen sich ableiten? Diese Fragen müssen unbeantwortet bleiben, da die Autorin auf ein Abschlusskapital verzichtet hat und nach den Untersuchungen zu Kontinuitäten und Diskontinuitäten einen regelrechten Abbruch ihrer Arbeit vollzieht. Eine Diskussion ihrer Ergebnisse, Schlussfolgerungen aus ihren Betrachtungen, eine Zusammenfassung des von ihr erzielten Erkenntnisgewinns findet nicht statt. Freilich ist ein derartiger Abschluss ein notwendiger Bestandteil jeder wissenschaftlichen Arbeit, und hierin ist – unabhängig vom Einzelfach – denn auch das wesentliche Manko der Dissertation zu sehen. Das Ende der Veröffentlichung wirkt damit auf den Leser, als sei der Autorin bei ihren Untersuchungen »die Luft ausgegangen«.

Zusammenfassend darf angemerkt werden, dass Nathalie Weidenfeld mit der Analyse von Entführungserzählungen und puritanischer Kultur, wie sie in den USA anzutreffen ist, ein interessantes Thema bearbeitet hat. Leider gelingt auf Grund der oben besprochenen Mängel weder die Überleitung zu Aussagen auf das Entführungsphänomen selbst, noch – was für den Anspruch der Arbeit durchaus schwerwiegender ist – eine allgemeine kulturwissenschaftliche Einordnung. Damit wurde ein spannendes Thema insgesamt nur unzulänglich abgehandelt.
Danny Ammon

220 Seiten, Din-A-5-Paperback, ISBN13 978-3-86624-213-5, € 39,00

dissertation.de – Verlag im Internet GmbH
Berlin, 2007

Quelle: JUFOF 170: 58 ff

Jetzt in unserem AMAZON-Store bestellen