Temple, Robert: Die Kristall-Sonne (2002)

Robert Temple
Die Kristall-Sonne
Eine verlorengegangene Technologie des Altertums wiederentdeckt

Schon beim lesen der Danksagung und in Anbetracht der Seitenzahl (600!) wird klar, dass es sich bei Temples Buch um keinen Schuss aus der Hüfte handelt, sondern um ein Werk dem ausführliche Forschung und Recherche vorausgehen. Der Autor Robert Temple, welcher durch sein 1976er Buch Das Sirius-Rätsel einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, verfolgt in Die Kristall-Sonne die Spuren geschliffener Bergkristall- und Glaslinsen in den Kulturen der Antike. Ausführlich belegt er, dass in den verschiedenen Kulturen des Altertums, wie dem antiken Griechenland und Rom aber auch Assyrien und Ägypten die Techniken des Linsenschliffs nicht nur bekannt, sondern mit absoluter Perfektion beherrscht wurden. Über 450 antike optische Linsen und mehr als 200 Glas-Brennkugeln zeugen davon.

Temple zieht auch zahlreiche antike schriftliche Quellen zu Hilfe, und belegt so die Existenz verschiedenster optischer Geräte, von einfachen Vergrößerungs- und Brenngläsern bis hin zu Teleskopen, im Altertum. Dies steht jedoch im krassen Widerspruch zur herkömmlichen Auffassung, wonach beispielsweise Brillen erstmalig im 13. Jahrhundert und Teleskope erstmalig im 17. Jahrhundert n.Chr. erfunden wurden. Diese Fehleinschätzung seitens der konventionellen Wissenschaft führte laut Temple zu einer tiefgreifenden Verzerrung des Geschichtsbildes von der antiken Welt. Viele Phänomene aus Technologie, Architektur und Handwerk, aber auch Religion, Mythologie und Philosophie konnten laut Temple in ihrem wahren Charakter nicht verstanden werden und mussten rätselhaft bleiben, was sich besonders bei den Übersetzungen antiker Schriften zeigte. Durch die Kenntnis von der optischen Technologie in der Antike lässt sich jedoch ein verständlicheres Bild von der Vergangenheit rekonstruieren. Besonders was den Bau großer Tempel oder der Pyramiden von Gizeh angeht, ist nach Temple die vorgefundene Präzision ohne die Verwendung von Theodoliten oder ähnlicher optischer Geräte nicht erklärbar.

Neben dem für Messungen wichtigen Aspekt der Vergrößerung, legt der Autor auch die antike Bedeutung einer weiteren Fähigkeit optischer Linsen dar, und zwar die Bündelung und Fokussierung von Licht zur Verwendung von Beleuchtungs-Effekten, äquivalent zum Strahl einer Taschenlampe.

Weitaus spekulativer sind einige mythologische und religiöse Schlussfolgerungen Temples. So zum Beispiel, wenn er die Zyklopen der griechischen Mythologie in einen optischen Kontext setzt, indem er das einzelne große Auge der Zyklopen als ein Symbol für Kristallkugeln interpretiert oder den Zyklopen Brontes (= Donner) wegen seines Namens mit den „Donnersteinen“ (geschliffene Bergkristalllinsen) in Zusammenhang bringt. Auch der Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Bezeichnung zyklopisch und gewaltigen Mauer- und Wallbauten, bei denen optische Vermessungsinstrumente gebraucht worden sein mussten, ist etwas weit hergeholt. Dies schmälert jedoch den Wert des Buches in keiner Weise.

Etwas bedauerlicher ist, dass Temple es trotz seiner jahrelangen Studien (seit 1967) versäumt hat, eine Liste all jener von ihm entdeckten Linsen und optischen Apparate anzufertigen, und sie im Anhang des Buches aufzuführen. Damit wäre dem forschenden Leser leichter die Möglichkeit gegeben die entsprechenden Artefakte in den Museen und Sammlungen aufzusuchen.

Alles in allem werden auch durch Temples Untersuchungen mal wieder die weit fortgeschrittenen, technischen Kenntnisse der alten Kulturen eindrücklich belegt. Besonders brisant ist der Befund, dass die ältesten Linsen zugleich diejenigen mit der höchsten Qualität darstellen, was weitführende Ursprungsfragen mit sich bringt. Somit trägt sein Buch vorbildlich zum Revidierungsprozess der Vor- und Frühgeschichtlichen Zeit mit bei. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, dass Temple die faszinierende Entstehung der Linsen voll und ganz dem Menschen zuschreibt und nicht auf eine andere intelligente Instanz zurückgreift.
Natale Guido Cincinnati

600 Seiten, Hardcover, ISBN 3-930219-53-0, € 25,-

KOPP Verlag
www.kopp-verlag.de
Rottenburg, 2002

Quelle: JUFOF 149: 156 f