Ritter, Thomas: Spuren ins Dunkel (2001)

Thomas Ritter:
Spuren ins Dunkel
Erfahrungen an den Grenzen unseres Wissens

Mit dem vorliegenden Band verfolgt Thomas Ritter das Ziel, dem Leser Spuren außerirdischer Intelligenzen, die uns in Vergangenheit und Gegenwart besucht haben sollen, zu zeigen. Er spannt dabei einen weiten Bogen, der von versunkenen Reichen über Geheimnisse der Geschichte zu rätselhaften Phänomenen reicht. Bei der Lektüre stellt sich das Buch als ein Gemisch aus spannenden Ereignissen der Geschichte und pseudowissenschaftlich untermauerten Beschreibungen angeblich rätselhafter Dinge und Ereignisse dar. Beispiele für das erstere ist die Beschreibung des Kinderkreuzzuges oder des Schwarzen Ritters, Beispiele für das letztere sind „die ewige Legende von Atlantis“ sowie angebliche „Flugscheiben über dem Irak.“ Damit ist das Buch insgesamt dem pseudowissenschaftlichen Spektrum zuzuordnen, es vereint in sich Themen aus der „UFO-Forschung“ und der „Paläo-SETI.“ Auf jedes der Kapitel einzugehen, würde den Rahmen sprengen, der üblicherweise mit einer Buchrezension gesetzt wird. Der Blick wird daher exemplarisch auf das erste Kapitel gerichtet, das die Überschrift trägt: „Die ewige Legende von Atlantis“ (S. 8 – 39).

Thomas Ritter glaubt, der Bericht Platons über Atlantis und seinen Untergang sei wörtlich zu nehmen: Atlantis lag im Atlantik, und der kulturelle Einfluss des untergegangenen Reiches lasse sich sowohl dies- wie auch jenseits des Atlantiks nachweisen. Als Beleg dafür dient Ritter der Pyramidenbau oder die Sirius-Legende der Dogon in Mali. Begründet worden sei Atlantis durch außerirdische Besucher, die das Ziel verfolgten, mit der Gründung von Atlantis eine auf humanistischen Grundlagen beruhende menschliche Zivilisation zu schaffen und um so enttäuschter waren, dass sich dieses hohe Ziel nicht verwirklichen ließ, vielmehr die Menschheit Kriege führte. Doch Atlantis wurde vernichtet, und zwar durch einen Einschlag aus dem All in den Atlantik, wie dies bereits in den fünfziger Jahren Otto Muck beschrieben hatte. Muck lieferte sogar den genauen Zeitpunkt der Katastrophe: Es war der 5. Juni 8498 v. Chr. Die Außerirdischen stoppten den Asteroiden nicht, sorgten aber für eine Aussiedlung der Atlanter in sichere Gebiete im mexikanischen und südamerikanischen Hochland.

Ist Thomas Ritter hier in der Tat einer versunkenen Hochkultur auf der Spur? Nein, keinesfalls. Auch wenn Ritter seine Behauptungen mit dem Ziel vorträgt, dem Leser ein Rätsel zu präsentieren, handelt es sich doch nur um „Science Mystery“. Science-Mystery tritt mit dem Anspruch auf, wissenschaftliche Literatur zu sein, verwendet dabei die Mittel der populärwissenschaftlichen Literatur, präsentiert aus der Sicht der etablierten Wissenschaft „hoffnungslose“ Fälle und suggeriert den Lesern ein Problem von angeblich existenzieller Bedeutung (Dieter B. Herrmann, Rätsel um Sirius, 1994, S. 20 f.). So verhält es sich auch hier. Dem Leser wird hier suggeriert, es habe im Atlantik eine Insel namens Atlantis gegeben, die weltweit ihren kulturellen Einfluss bemerkbar machte, von Außerirdischen inspiriert wurde und schließlich durch einen Asteroideneinschlag unterging. Die Belege, die er dafür vorträgt, lesen sich wie eine Kollage aus Ignatius Donelly, Charles Berlitz, Zecharia Sitchin und Erich von Däniken. Deren Behauptungen werden, wie es scheint, ungeprüft übernommen und der eigenen These untergeordnet, wobei nicht berücksichtigt oder erkannt wird, dass dieses Fundament auf sehr wackeligen Füssen steht, weil diese Behauptungen längst wiederlegt oder durch die moderne Wissenschaft entkräftet wurden.

Werfen wir einen Blick auf zwei dieser Behauptungen: Die Cheops-Pyramide sei eine Hinterlassenschaft einer atlantischen Kultur, die Dogon in Mali besäßen detaillierte Kenntnisse über das Sirius-System.

Typisch für die pseudowissenschaftliche Prä-Astronautik ist das Vermengen von wissenschaftlichen Fakten mit den Aussagen antiker und mittelalterlicher Autoren über die Cheops-Pyramide. So gelingt es, dem Leser zu suggerieren, dass die Aussagen der Wissenschaft letztlich nicht mit dem korrespondieren, was alte griechische, römische und arabische Quellen berichten, denen zudem ein höherer Wahrheitsgehalt eingeräumt wird. Die Ägyptologie nennt Cheops (altäg. Chufu), einen König der 4. Dynastie, als Bauherrn der Pyramide. Einziger Beleg dafür sei, so Ritter, die Kartusche mit dem Namen des Pharao in einer Entlastungskammer der Königskammer, entdeckt von Howard Vyse im 19. Jahrhundert. Doch diese Kartusche, so scheint es, ist eine Fälschung, angefertigt von Howard Vyse selbst. Also ist die Pyramide doch älter, als die Ägyptologen behaupten? Arabische Quellen legen diesen Schluss nahe: Sie berichten von geheimen Kammern voller Schätze, die durchaus einen realen Hintergrund haben könnten, da wissenschaftliche Messungen weitere Hohlräume in der Cheops-Pyramide ergeben hätten.

Halten wir hier inne und werfen wir einen Blick auf Ritters Argumentation. Zunächst die Behauptung, die von Vyse entdeckte Kartusche sei der einzige namentliche Beleg für den König in der Pyramide. Das stimmt nicht, es ist zwar die einzige Kartusche mit dem Namen des Königs, doch taucht der Name des Chufu in anderen Kammern nochmals auf, beispielsweise in der Lady Arbuthnot Kammer, ebenfalls einer Entlastungskammer über der Königskammer (Michael Haase, Sokar 5, S. 12). Es handelt sich um Arbeiterinschriften, die auf den Steinen angebracht wurden, bevor man sie in die Pyramide verbaute.

Und die Kartusche mit dem Namen des Cheops ist keine Fälschung Vyses, sondern sie ist echt, wie es Michael Haase bereits 1996 in der Zeitschrift G.R.A.L. ausführlich dargelegt hat (Michael Haase, G.R.A.L. 3/1996, S. 159 ff.). Es handelt sich um die sogenannte „Fälscher-Legende“, eine Erfindung des amerikanischen Journalisten Zecharia Sitchin, der damit einen Weg suchte, dem ägyptischen König die Urheberschaft über seine Pyramide abzusprechen und sie außerirdischen Besuchern zuzusprechen. Vyse war ein Abenteurer und rücksichtloser Zerstörer von Kulturgut, aber ein Fälscher war er gewiss nicht. Dennoch hat sich Sitchins Behauptung in pseudoarchäologischen Kreisen als Tatsache etabliert, wie auch Ritters Buch demonstriert. Ein Grund mehr, auf die Haltlosigkeit dieser Behauptung hinzuweisen. Zudem existieren noch weitere Belege für die Bauherreneigenschaft des Cheops: Da ist zunächst das Umfeld der Pyramide. Dort finden sich zahlreiche Gräber von Höflingen, Beamten und Familienangehörigen des Königs, und sie alle weisen einen Bezug zu Cheops auf. Im Grab des Kar (6. Dynastie), einem Priester des Cheops-Kultes, findet sich sogar der Name der Pyramide: „Horizont des Chufu“ (Michael Haase, G.R.A.L. 3/96, S. 154).

Schließlich ignoriert Ritter, wie die meisten Autoren aus dem pseudoarchäologischen Spektrum, die Zugehörigkeit der Cheops-Pyramide zu einer Evolution des Pyramidenbaus. Cheops erbaute seine Pyramide nicht einfach aus dem Stehgreif heraus, vielmehr stützte er sich auf die Erfahrungen, die die ägyptischen Baumeister während der Herrschaft seines Vaters Snofru machen konnten: Snofru ließ immerhin drei Pyramiden bauen, eine in Meidum und zwei in Dahschur. An diesen Pyramiden lässt sich die Evolution von der Stufenpyramide zur „echten“ Pyramide gut ablesen, und nicht zu unrecht gilt Snofru und nicht Cheops als größter Bauherr des Pyramidenzeitalters (Michael Haase, Das Feld der Tränen, München 2000).

Und was hat es mit den Hohlräumen in der Cheops-Pyramide auf sich? Handelt es sich um verborgene Kammern? Gewiss nicht, das Kammersystem der Cheops-Pyramide lässt sich von seiner Struktur her in den Pyramidenbau der 4. Dynastie einordnen, so dass man in der Tat davon ausgehen kann, dass die arabischen Quellen hier ein Märchen erzählt haben. Was für Hohlräume wurden dann aber gemessen? Keine, denn die Untersuchungen sind nicht so eindeutig verlaufen, wie Ritter es darstellt. Das schließt nicht aus, dass es wirklich Hohlräume gibt, doch sind diese bautechnisch bedingt und mit Sand und Schutt aufgefüllt worden (Michael Haase, Das Rätsel des Cheops, München 2001, S. 185 f.). Allen pseudoarchäologischen Behauptungen zum Trotz: Die Cheops-Pyramide wurde von Cheops erbaut und diente ihm nach seinem Tode als Grabmal und zugleich als Zentrum einer Kultstätte für die Verehrung des verstorbenen und vergöttlichten Königs (wofür die Reste einer Tempelanlage im Vorfeld der Pyramide ausreichend Hinweise geben).

Ritter behauptet ferner, die Existenz von Pyramiden in Mexiko, Ägypten oder Peru spreche für einen kulturellen Einfluss durch Atlantis. Diese Behauptung stammt nicht von ihm, sondern sie geht auf Ignatius Donelly zurück, der im 19. Jahrhundert einen Kontinent Atlantis im Atlantik und seinen kulturellen Einfluss auf Ägypten, Mesopotamien, Mittel- und Südamerika propagierte. Donelly lagen damals unzureichende geologische und archäologische Daten vor, weshalb er durchaus von solch einer Beziehung ausgehen konnte. Heute weiß man durch archäologische Forschung, dass zwischen den Pyramiden weltweit erhebliche zeitlichen und auch funktionale Unterschiede bestehen. Die ältesten Pyramiden weltweit sind die ägyptischen Pyramiden: Die älteste stammt von König Djoser, es handelt sich um die etwa 2600 v. Chr. errichtete Stufenpyramide. Bald folgten die Tempelberge in den alten Städten Mesopotamiens. Anders als die ägyptischen Pyramiden waren diese keine Begräbnisstätten und Zentren für einen Totenkult, sondern von Priestern begehbare Tempel, an deren Spitze der Gott residierte. Ein ähnliches Konzept entwickelte sich in Mittelamerika bei den Maya und Azteken, doch liegen hier die Anfänge im Pyramidenbau zu Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends. Archäologische Funde belegen, dass die Maya ihre Pyramiden auch als Begräbnisstätten für Könige benutzten. Doch stammt die Idee dahinter nicht aus Mesopotamien, sondern von den Maya selbst. Fakt ist, dass antike Völker zu unterschiedlichen Zeiten eigenständig den Pyramidenbau entwickelten, ein gemeinsames Zentrum dafür gab es nicht. Und auch ein Kontinent Atlantis im Atlantik darf nach heutigen geologischen Erkenntnissen getrost als Fiktion betrachtet werden, ebenso einen Einschlag eines Asteroiden um 9000 v. Chr. (wobei man sich hier als kritischer Leser fragt, weshalb außerirdische Intelligenzen, die immerhin den interstellaren Raumflug beherrscht haben sollen, nicht in der Lage waren, den Asteroid aufzuhalten). Mucks Thesen mögen dem geologischen Kenntnisstand der 50er Jahre entsprochen haben, sie sind zwischenzeitlich längst überholt: Es gab nachweislich vor 10.000 Jahren keinen Einschlag eines Asteroiden im Atlantik. Und dass es einen im Atlantik versunkenen Kontinent Atlantis gegeben haben soll, mit dieser Vorstellung hat bereits 1989 Johannes Fiebag aufgeräumt: Die modernen Erkenntnisse über die Struktur des Meeresbodens im Atlantik sowie die Kontinentaldrift schließen einen solchen Kontinent aus (Johannes Fiebag, Ancient Skies 1989, S. 6 ff.).

Bleiben noch die Dogon und ihr rätselhaftes Wissen über das Sirius-System. Dies war und ist ein Paradepferd in der Argumentationskette der Paläo-SETI: Woher sollte ein Hirtenvolk derart detaillierte Kenntnisse haben, wenn nicht von Außerirdischen? Aufgezeichnet hat dies der französische Ethnologe Marcel Griaule in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Vor einigen Jahren fand der Ethnologe Walter van Beek, ein ausgewiesener Kenner der Dogon, jedoch heraus, dass Griaule manipulativ gearbeitet hat. Hier sind im wahrsten Sinne des Wortes zwei völlig unterschiedliche Kulturkreise aufeinandergeprallt, ohne dass Griaule dies richtig berücksichtigt hat: Die Dogon besitzen kein Wissen über das Sirius-System. Auch der astronomische Befund spricht für diese Deutung: Nach Griaule sollen die Dogon mehr als zwei Sterne im Sirius-System kennen. Doch haben genaue Untersuchungen ergeben, dass es außer Sirius und seinen Begleitstern Sirius B keinen weiteren Stern dort gibt (Klaus Richter, MegaLithos 3/01, S. 91 ff.).

Damit stellt sich abschließend heraus, dass Ritters Darstellung über Atlantis auf spekulativen Annahmen beruht, die sich ohne größere Nachprüfung wiederlegen lassen. Andere Kapitel des Buches sind ähnlich aufgebaut, so dass sich das Buch für einen Erkenntnisgewinn nicht eignet.
Klaus Richter

224 S., br., ill., ISBN 3-935095-20-1, € 15,40

Amun-Verlag
www.amun-verlag.de
Schleusingen 2001

Quelle: JUFOF 150: 187 ff