Flammarion, Camille: Die Mehrheit bewohnter Welten (1864/2004)

Camille Flammarion:
Die Mehrheit bewohnter Welten

Nicolas Camille Flammarion wurde am 28. Februar 1842 in Montigny-le-Roi im französischen Department Haute Marne geboren. Anfangs studierte er Theologie, interessierte sich aber schon früh für die Astronomie.

1858, im Alter von 16 Jahren, verfasste er ein Manuskript von etwa 500 Seiten mit dem Titel „Cosmologie universelle“ und wurde Assistent bei Urbain Jean Joseph Leverrier am Pariser Observatorium, bei dem Mann, dessen Berechnungen 1846 zur Entdeckung des Planeten Neptun geführt hatten. Diese Stelle verlor er, als er 1862, im Alter von 19 Jahren, im Selbstverlag das hier wieder vorgelegte Buch „La pluralité des mondes habités“ veröffentlichte. Später konnte er aber wieder an das Observatorium zurückkehren und sich mit der Beobachtung von Doppelsternen befassen. Als Ergebnis dieser Arbeit konnte er 1878 einen Katalog von etwa 10.000 Doppelsternen veröffentlichen. Daneben beobachtete Flammarion den Mond und den Planeten Mars. Er vertrat u. a. hinsichtlich des Mars die Hypothese, dessen Farbe könne auf eine Vegetation zurückzuführen sein. 1882 wurde er Vorsteher einer von Privatpersonen gegründeten und unterstützten Sternwarte in Juvisy-sur-Orge bei Paris, an der er seitdem arbeitete.

Im Lauf seines wissenschaftlichen und schriftstellerischen Wirkens erhielt Flammarion mehrere bedeutende Anerkennungen und Auszeichnungen: 1922 wurde er als zum Kommandeur der französischen Ehrenlegion ernannt, 1924 konnte er noch die Benennung eines Asteroiden („Flammario“) nach seinem Namen erleben. Nach seinem Tode am 7. Juni 1925 in Juvisy, der Hauptstätte seines Wirkens, erhielten je ein Krater auf dem Mond (1935) und auf dem Mars (1973) den Namen „Flammarion“.

Flammarion war nicht nur ein erfolgreicher Wissenschaftler, sondern auch ein großartiger Kommunikator, der sich in seinen zahlreichen Werken nicht nur an die Fachwelt, sondern in populärwissenschaftlichen Schriften ganz bewusst an weite Kreise der Bevölkerung wandte und u. a. im Rahmen meteorologischer Untersuchungen selbst an Ballonfahrten teilnahm. Seit 1865 war Flammarion wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Redaktion der Zeitschrift „Cosmos“, dann des „Magasin pittoresque“ und des „Siècle“. Durch seine äußerst fruchtbare literarische Tätigkeit, durch die Gründung der „Société astronomique de France“ (1877) und durch die Herausgabe der Monatsschriften „L’Astronomie“ und „Annuaire astronomique et météorologique“ trug er viel zur Verbreitung des Interesses für astronomische Studien, namentlich in Frankreich, bei. Von den zahlreichen volkstümlichen Werken seien genannt: „La pluralité des mondes habités“ (1. Aufl. 1862, 34. Aufl. 1890, deutsch 1865), „Les mondes imaginaires et les mondes réels“ (20. Aufl. 1887, deutsch 1902), „Astronomie populaire“ (1880, deutsch o. J., wahrscheinlich 1907 oder 1908). Letzteres Werk wurde in mehr als 100.000 Exemplaren allein in Frankreich verbreitet und war auch international erfolgreich, in deutscher Sprache unter dem Titel „Himmelskunde für das Volk“. Außerdem schrieb er, um auch auf diese Weise Interesse an seinen Ideen zu wecken, mehrere Erzählungen, darunter die Romane „Uranie“ (1889) und „Stella“ (1897). Auch gegenüber dem Okkultismus, einer Modeerscheinung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, hatte Flammarion keine Berührungsängste, wie er überhaupt Zeit seines Lebens als sehr unkonventioneller Gelehrter in Erscheinung trat.

In seinem ersten selbständigen Werk „La pluralité des mondes habités. Etude ou l’on expose les conditions d’habitabilité des terres célestes“, das er 1861 vollendet und 1862 veröffentlichte ging Flammarion der Frage nach anderen bewohnten Himmelskörpern systematisch nach, indem er, nach einem geschichtlichen Rückblick und unter Berücksichtigung religiöser und philosophischer Gesichtspunkte, die physikalischen Bedingungen nach dem damaligen Erkenntnisstand (so war etwa der Planet Pluto noch nicht entdeckt und Einsteins Relativitätstheorie noch nicht formuliert) untersuchte. Hierbei kam Flammarion zu einem insgesamt begeistert-optimistischen positiven Ergebnis.

Das Buch hat in Deutschland zwei „Erstausgaben“ erlebt: Die erste Ausgabe erschien 1864 mit einer gefalteten Karte im Dresdener Verlag Waldemar Türk unter dem Titel „Die Mehrheit bewohnter Welten. Eine Studie in der die Bedingungen der Bewohnbarkeit der Himmelskörper vom Gesichtspunkte der Astronomie und der Physiologie aus entwickelt und besprochen werden“, aus dem Französischen übertragen und durch einen Anhang und Anmerkungen vermehrt von Hugo Schramm. Diese auf der nur 54 Seiten umfassenden ersten französischen Ausgabe beruhende Üebersetzung hatte, bedingt durch ein kleines Format (ca. 9,5 x 14 cm) einen Umfang von nur 130 Seiten. Diese absolut erste deutsche Ausgabe wird hier im Neusatz vorgelegt.

Die erste auf der ab 1864 erschienenen stark erweiterten Fassung beruhende und autorisierte, also im Einvernehmen mit Flammarion erfolgte Übersetzung durch Dr. Adolph Drechsler (1815–1888, Direktor des Königlich Mathematisch-Physikalischen Salons zu Dresden) erschien 1865 im Leipziger Verlag J. J. Weber im Umfang von 282 Seiten mit 6 Bildtafeln unter dem Titel „Die Mehrheit Bewohnter Welten. Astronomische, physiologische und naturphilosophische Studien über die Bewohnbarkeit der Himmelskörper.“ Auf der ersten (nicht nummerierten) Seite des Haupttextes (anschließend an das auf Seite XVI beendete ausführliche Inhaltsverzeichnis) trug es den Zwischentitel „Das Bewohnte Welten-All“; diesen Titel trug später die 1884 erschienene einzige weitere deutsche Auflage im gleichen Verlag, wiederum von Flammarion autorisiert und von Adolph Drechsler auf der Grundlage der 31. Auflage übersetzt: „Das Bewohnte Welten-All. Astronomische und philosophische Betrachtungen.“

Diese frühe populärwissenschaftliche Schrift über die Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens ist heute, außer in Staats- oder Universitätsbibliotheken, nur noch mit viel Geduld antiquarisch erhältlich. Abgesehen von der altersbedingten Seltenheit der Originalausgabe erschweren inzwischen auch der in der für weite Kreise nicht oder nur mit Mühe lesbare in Frakturschrift gesetzte Text und die vor 1901 gebräuchliche Rechtschreibung den Zugang zum Werk. Durch den vorliegenden Nachdruck im Neusatz in moderner Antiqua-Schrift soll diese zweifache Kluft überbrückt und das Werk wieder allgemein zugänglich gemacht werden. Der Text selbst bleibt, auch hinsichtlich der bis 1901 geltenden Rechtschreibregeln einschließlich der Zeichensetzung unangetastet und ist damit zitierfähig.
Dieter von Reeken

Inhalt: Vorwort des Herausgebers / Vorwort des Übersetzers / Einleitung / Historische Studie / Astronomische Studie / Physiologische Studie / Anhang: Ein Meteorstein von einem bewohnten Planeten / Anmerkungen (des Übersetzers) / Tabelle: Die hauptsächlichsten Elemente des Sonnensystems

Farbiger Kartonumschlag, 13,5 x 21,5 cm, 102 S., Vorwort, Anhang, 1 Tabelle, 9,90 €. ISBN 3-8334-0882-0

Dieter von Reeken
www.dieter-von-reeken.de
Lüneburg, 2004

Quelle: JUFOF 152: 61 ff