Mack, John E.:
Entführt von Außerirdischen
Die glücklichen Entführten des Dr. Mack
Was ist von einem Psychiater zu halten, der die Inhalte aller „Träume“ und „Visionen“ seiner Patienten wörtlich nimmt, der, wenn Leute erzählen, sie seien zur Errettung der Erde auserwählt, hätten mit dem „Satan“ im Keller gekämpft oder ihre Schnittwunden seien ihnen von Außerirdischen zugefügt worden, dies für bare Münze nimmt? Ich weiß nicht, ob derartige Psychiater immer häufiger werden – auf jeden Fall gelingt es ihnen im Zeitalter der Sensationsmedien zunehmend mehr, öffentliches Gehör zu finden. Dabei unterscheiden sie sich in ihrer schier unbegrenzten naiv-infantilen Leichtgläubigkeit in keinster Weise von den Hexenjägern des Mittelalters, die gleichartige Berichte ebenfalls wörtlich nahmen.
Von dem im von Buttlar-eigenen Verlag in deutscher Übersetzung erschienenen amerikanischen Bestseller „ABDUCTION – Human Encounters with Aliens“ hätte zumindest hierzulande aber wohl dennoch außer den UFO-Gemeinden und der Boulevard-Presse kaum jemand Notiz genommen, wäre der Autor auf dem Glanzumschlag nicht ausdrücklich als „Pulitzer-Preisträger und Harvard-Professor“ zusammen mit seinem akademischen Grad „M. D.“ (Medicinae Doctor) ausgewiesen worden.
Schon vor Erscheinen der deutschen Übersetzung verging kaum eine UFO-Talkshow im Fernsehen, in der nicht irgendwelche „UFO-Forscher“ darauf hingewiesen hätten, dass ja nun „sogar ein Harvard-Professor und Pulitzer-Preisträger“ von Entführungen durch Außerirdische überzeugt sei. Als ob damit die Forschungen und Thesen des John Mack auch schon legitimiert seien! „Seht her“, rufen begeistert die UFO-Gläubigen, „selbst ein anerkannter seriöser Wissenschaftler nimmt UFO-Entführungen ernst!“. Die Begeisterung reichte aus, selbst den SPIEGEL und FOCUS dazu zu verführen, den „Mackianismus“ in jeweils mehreren Artikeln aufzugreifen. Auch wenn dies fast immer mit einem Augenzwinkern geschah, kann wohl kaum bezweifelt werden, dass durch entsprechende Berichte die Entführungsthematik in der breiten Öffentlichkeit erst richtig aufgewertet wurde.
Mack hatte offenbar schon frühzeitig die Werbetrommel für sich und seine „Therapien“ gerührt. Bereits zwei Jahre vor Erscheinen seines Buches in den USA berichtete das Wall Street Journal (15. Mai 1992) ausführlich über ihn. Einen Monat später fand der Bericht unter der Schlagzeile „Extraterrestrische Psychiatrie: Harvard-Professor verspricht UFO-Opfern Heilung“ Eingang in die Münchner Medizinische Wochenschrift (MMW, 12. Juni 1992). Damals seien Mack „Berichte von etwa 50 Personen über ihre Entführung zugänglich geworden“, die nach seiner Überzeugung „auf Wahrheit beruhen“. Zwei Jahre später sei die Zahl auf „76 Personen“, die Macks „sehr strengen Kriterien für eine wirkliche Entführung erfüllen“, angestiegen – „darunter auch drei Kinder von acht Jahren und darunter“ (das jüngste war zwei Jahre alt!). Das würde bedeuten, dass pro Jahr nur etwa ein Dutzend neue „echte“ Entführte bei Mack auftauchten. Diese geringe Zahl steht in keinem Verhältnis zu Umfrageergebnissen, wonach 3,7 Millionen Amerikaner der erwachsenen Bevölkerung sich zu den Entführungsopfern zählen würden (MMW). In seinem Buch erklärt Mack, dass er innerhalb von dreieinhalb Jahren insgesamt „mehr als 100“ Klienten hatte, „die aufgrund ihrer Entführungen oder anderer ‚anormaler‘ Erfahrungen“ zu ihm gekommen seien (S. 13). Nirgendwo verrät Mack, warum demnach mindestens 25% aller Klienten nicht seine vorgeblich „strengen Kriterien“ erfüllten. Im Herbst 1995 sprach Mack immer noch von „etwa 100 Fällen“, an denen er „intensiv arbeitete“ (Interview im „Magazin 2000“, Nr. 107, 10/11, 1995/96, S. 48). Trotz des gewaltigen Erfolges seines Buches scheinen demnach wenig neue „Entführte“ hinzugekommen zu sein. Ähnlich mäßig fiel die Reaktion in Deutschland nach Ausstrahlung von Christian Bauers ZDF-Film „Von UFOs entführt“ im Mai 1993 aus. Laut Mack „meldeten sich lediglich zwanzig Leute“ darauf (S. 24). FOCUS widmete Mack im August 1995 unter der Schlagzeile „Die irren Fälle des Doktor Mack“ ganze fünf Seiten für ein Interview. Ganz davon abgesehen, dass Kritiker in der betreffenden Ausgabe nicht zu Wort kamen, schmeichelte der Interviewer Mack, indem er ihn mit Giordano Bruno verglich und „zum wichtigsten UFO-Wissenschaftler aller Zeiten“ erklärte. Aber auch Mack selbst war nicht kleinlich, stellte er sich doch selbst in dem Interview in die „Kultur von Marx, Freud, Einstein“. Ist es ein Zufall, dass auch Macks „Entführte“ in Omnipotenzphantasien schwelgen (mehr dazu später)?
Rund eineinhalb Jahre zuvor, am 5. Mai 1994, hatte sich das Magazin in einem vierseitigen Artikel wesentlich skeptischer über Mack und seine Methoden geäußert. Es berichtete über eine Forscherin, die sich Mack gegenüber als Entführte ausgegeben und dabei die absurdesten Geschichten erzählt hatte (zum Beispiel dass Chruschtschov und Kennedy während der Cuba-Krise an Bord eines Alien-Raumschiffes weilten). Mack habe ihre Geschichte anscheinend kritiklos geschluckt…
Deutschlands auflagenstärkste TV-Zeitschrift „Hör Zu“ schlachtete das Entführungsthema bis zum Abwinken aus: Innerhalb von nur fünf Monaten (zwischen September 1995 und Februar 1996) berichtete das Blatt gleich in drei ausführlichen Artikeln über die „Forschungen“ Macks und anderer Untersucher. In dem ersten (Cover-) Artikel vom 15. September 1995 wurde Mack zum „bisherigen Skeptiker“ erklärt – eine gängige Taktik, um die Glaubwürdigkeit eines Themas zu erhöhen. Denn damit wird suggeriert, dass es die Fakten sind, die entschieden haben – und nicht die Subjektivität einer Person! Doch auch Mack selbst erklärte sich wiederholt zum ehemaligen Skeptiker. Dies geschah zum Beispiel in der SAT-1-Sendung „Schreinemakers“ am 26. Oktober 1995 im Gespräch mit dem CENAP-/GWUP-Mitarbeiter Hans-Jürgen Köhler.
Dass sich Mack weit ab von den „engstirnigen… empirischen Methoden“ (S. 523) bewegt, zeigt schon das Literaturverzeichnis seines Buches: Von den dortigen 86 Literaturangaben beziehen sich rund zwei Drittel (54) auf reine UFO-Literatur und elf Angaben auf esoterische Publikationen. Nur bei 10 Quellen handelt es sich um psychologische Werke, doch davon wiederum ist die Hälfte Außenseiter-Literatur! Dies allein zeigt auch, dass sich Mack erst gar nicht lange mit traditionellen Erklärungsmustern abgibt. Am häufigsten im Text (15 x) zitiert Mack Budd Hopkins, der das Entführungsphänomen populär gemacht hat. Doch Hopkins ist kein ausgebildeter Psychologe, sondern Künstler und Hobby-Hypnotiseur.
Nach kritischer Literatur sucht man nahezu vergeblich. So findet sich weder im Literaturverzeichnis noch im Personenindex der Name Philip Klass, der fünf Jahre vor Erscheinen von Macks Werk das einzige kritische Buch zur Entführungsthematik in den USA veröffentlicht hatte. Da ja die Glaubwürdigkeit der Berichte mit der Methode der Hypnose steht oder fällt, ist es umso verwunderlicher, dass auch der Name Martin T. Orne – der weltweit bekannteste Experte für Hypnose – in Macks Buch keine Erwähnung findet! Auch Hinweise zur bekannten Studie mit imaginären „Entführten“ von Alvin H. Lawson und William C. McCall sucht man vergeblich. Dafür weist der Harvard-Professor stolz darauf hin, dass „der zweitgrößte Fernsehsender Deutschlands im Mai 1993 eine fünfundvierzigminütige Dokumentation über das Phänomen der UFO-Entführungen ausstrahlte, die mit dem höchsten deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde“ (S. 24). Mack bezieht sich auf den ZDF-Film Christian Bauers „Von UFOs entführt“, der am 23. Mai jenes Jahres gesendet worden war. Allerdings wurde dieser Film nicht „mit dem höchsten deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet“; Bauer hatte diesen Preis – gemeint ist der Adolf Grimme-Preis – zuvor für einen ganz anderen Beitrag, der nichts mit UFOs zu tun hatte, erhalten! Was Mack in diesem Zusammenhang verschweigt, konnte man in der Nr. 20 des Spiegel-Jahrganges 1993 auf Seite 299 erfahren: „Als Bauer den engagierten Kritiker und Buchautor Philip Klass…vor der Kamera interviewen wollte, drohten Jacobs und Mack mit einem Boykott des Filmvorhabens; Bauer gab klein bei“.
Es ist auch hierzulande seit einigen Jahren gang und gäbe, dass Kritiker von den Vertretern phantastischer Spekulationen entweder totgeschwiegen werden oder analogen „Erpressungen“ zum Opfer fallen (siehe dazu z. B. Harder, B.: Hex und hopp, Journalist 12/ 95, S. 42ff). Wenn sich Autoren wie Mack oder Jacobs ihrer Sache so sicher wären, hätten sie es dann nötig, Kritiker totzuschweigen bzw. mundtot zu machen? Mit Nachdruck fordert Mack im Schlussabschnitt seines Buches (ab S. 561) einen Paradigmenwechsel, wobei er sich, wie zahlreiche andere New Age-Apologeten, auf die anarchistischen Thesen von Thomas Kuhn beruft (S. 35). Doch allein sein traditionelles trinitäres Menschenbild, das den Menschen noch in „Geist, Körper und Seele“ untergliedert (S. 522) und natürlich sein Unvermögen, in emotionsgeladenen Schilderungen etwas anderes als Tatsachenberichte zu sehen, bietet sich kaum für einen solchen Wechsel an.
Bereits in der Einleitung erklärt Mack, „dass im Prinzip[?] noch kein anerkanntes[?] wissenschaftliches Zeugnis existiert“, das er „zur Untermauerung“ seiner „Argumente oder Schlussfolgerungen hätte heranziehen können“ (S. 14). Mit weniger „gewundenen“ Worten heißt das schlicht und einfach, dass es keine Beweise für Entführungen gibt. Einige Seiten weiter wird Mack deutlicher, indem er erklärt, dass „es weder physische noch sonstige ‚Beweise‘ für Entführungsphänomene gibt“ (S. 41). Angesichts dieser Aussagen gerät die Forderung nach einem Paradigmenwechsel erst recht zur Farce. Man wäre versucht, Mack für seine Eingeständnisse zu loben, wüsste man nicht, dass er auf Insider-Veranstaltungen und in TV-Interviews weit weniger zurückhaltend argumentiert, denn da verweist er immer wieder auf angeblich objektive Belege, wie z. B. „Operationsnarben“!
Wenn Mack – z. B. in Talkshows – von sich behauptet, er habe sich vom Saulus zum Paulus gewandelt, widerspricht er eigenen Aussagen in seinem Buch, das voll von Widersprüchen ist. So erfahren wir, dass er die „Transpersonale Psychologie“ studiert habe, und gleich zu Beginn des Vorwortes erklärt er: „Ein Autor, der ein Wagnis unternimmt, das so neuartig ist wie dieses hier, muss sich fragen, ob nicht eine Verbindung zu seiner früheren Arbeit gefunden werden kann. Für mich besteht diese Verbindung in der Frage nach unserer Identität – wer sind wir im tiefsten und weitesten Sinn“ (S. 9). Mack orientierte sich also schon vor seiner Einlassung auf die Entführungsthematik an der Identitäts- und Sinnfrage, die auch das gesamte Buch durchzieht: „Dieses Buch handelt nicht einfach von UFOs oder gar Entführungen durch Außerirdische. Es handelt davon, wie dieses Phänomen sowohl traumatisch als auch transformierend, unser Verständnis von uns selbst und unser Verständnis von der Realität erweitern und unser verstummtes Potential als Erforscher eines Universums, das reich an Geheimnissen, Bedeutung und Intelligenz ist, wecken kann“. Das sind Aussagen, wie wir sie nicht in einer wissenschaftlichen, wohl aber in einer religiösen bzw. esoterischen Abhandlung erwarten würden. Bereits dem UFO-Kritiker Klass fiel auf, wie sehr religiöse Vorstellungen die Entführungsliteratur durchziehen.
Von einer Distanz zwischen Explorator und Proband hält Mack nichts: „Ich selbst bin in meiner Arbeit mit Entführten vollständig einbezogen und erfahre und durchlebe die Welt, die sie aus ihrem Unterbewusstsein abrufen. Meine gesamte Psyche oder mein gesamtes Wesen ist daran beteiligt“ (S. 523). An dieser Stelle merkte der Autor wohl, dass er mit seiner Aussage zu weit ging. Daher fügte er beschwichtigend hinzu, dass sein „rationales oder beobachtendes Selbst dennoch stets vorhanden“ sei „und diesen Prozess begrenzt und beschützt“. Doch gleich im nächsten Abschnitt verwirft er „die empirischen Methoden“ als „engstirnigen Weg“. „Um etwas über die Welten ‚hinter dem Schleier’…zu erfahren, benötigen wir“ laut Mack „möglicherweise eine andere Art von Bewusstsein“. Einer Aufforderung zu einem religiösen Glaubensbekenntnis nahe kommt folgende Aussage des Autors: „Erst wenn man das Phänomen akzeptiert, erlangt man Verständnis dafür“. Und beim Befragen seiner Probanden lässt sich Mack nach eigener Aussage auch von seiner „Intuition“ und seinen „Gefühlen“ leiten.
Mack ist sich natürlich darüber im klaren, dass dieses Vorgehen „von einer westlichen Perspektive aus als ‚Verfälschung‘ gelten mag“, und so manche Entführungs-Geschichte „aus einer rein westlichen, wissenschaftlich-philosophischen Perspektive heraus… als Unsinn verworfen werden müsste“ (S. 448), doch ist es für ihn entscheidend, „dass der Erfahrene“ und er „an einer Evolution des Bewusstseins teilgenommen haben“ (S. 524), was immer dieses esoterische Geschwafel auch besagen soll.
Mit entwaffnender Treuherzigkeit berichtet Mack auf Seite 48, aufgrund welcher Kriterien er einen Entführungsbericht für real ansieht: „Mein eigenes Kriterium, das darüber entscheidet, ob ich den Beobachtungen eines Entführten Glauben schenke oder nicht, besteht ganz einfach aus der Frage, ob der Betroffene das, wovon er berichtet, als real empfunden hat und ob er es mir aufrichtig und so erzählt, wie es wirklich gewesen ist“.
So einfach ist das also. Aber halt, Herr Professor, empfinden nicht auch Psychotiker und „Pseudologen“ ihre Halluzinationen (zumindest zeitweise) als „real“? Welche konkreten Methoden wendet Mack an? „Hypnose, schamanistische Reisen[!], Meditation, Atemtechnik nach der Grof-Methode, visionäre Aufgaben und andere Dinge, die im Westen als ’nicht normale‘ Bewusstseinszustände bezeichnet werden“ (S. 522). „Die Art von Hypnose oder des Trancezustandes[!], in die ich die Patienten versetze, ist durch… meine Erfahrung in holotropischer Atemtechnik entstanden… Diese Technik basiert auf einem tiefen, schnellen Atmen, stimulierender Musik, bestimmten Bewegungen und symbolischem Zeichnen…“. Die während dieser Technik in Kombination mit Hypnose „mit außergewöhnlicher Intensität“ auftretenden „körperlichen Empfindungen, Bewegungen und vehementen Gefühlsausbrüche resultieren“ für Mack „offensichtlich aus dem starken Eindruck der ursprünglichen Erfahrung“ (S. 38). Auf den Gedanken, dass diese Hyperventilationstechnik den Probanden in einen pathogen-halluzinatorischen Zustand – ähnlich wie beim sog. Rebirthing – versetzen könnte, kommt Mack erst gar nicht.
Was die Hypnose anbelangt, führt der Autor zwar Argumente der Kritiker und Skeptiker an, die bestritten, „dass Entführungsphänomene real sind“, da „eine Erinnerung unter Hypnose ungenau sei und der Patient seine Rückerinnerung möglicherweise nur entwickele, um damit den Erwartungen des Hypnotiseurs zu entsprechen“. Doch „glaubt“ er, „dass Kritik dieser Art unhaltbar sei“, denn der Einwand der Ungenauigkeit von Erinnerungen unter Hypnose beruhe „hauptsächlich darauf, dass in den USA eine Anwendung von Hypnose bei Zeugen vor Gericht in solchen Klagefällen nicht zulässig“ sei, „in denen es nicht von vitalem Interesse für die befragte Person“ sei. „Im Falle der Entführungen jedoch“ seien „diese Erfahrungen“ für die Betreffenden „von immenser Bedeutung“ (S. 39).
Diese verquere (Ausweich-)Logik, die alle kritischen empirischen Untersuchungen zur Zuverlässigkeit von Hypnose als Regressionsmethode ignoriert, wird nur verständlich, wenn man bedenkt, dass Mack längst aufgehört hat, sich an kausalen Bezügen zu orientieren, denn er denkt fast ausschließlich in teleologischen Bahnen. Einzig wichtig ist ihm die Bedeutung, die der Proband aus der mittels Hypnose gewonnenen Erfahrungen zieht! Der Zweck heiligt für ihn offenbar die Mittel, denn: „Angesichts eines UFO-Phänomens wie den UFO-Entführungen…, scheint die Frage unangemessen zu sein, ob eine Hypnose… genau das wiedergibt, was im wörtlichen Sinne oder tatsächlich ‚geschehen‘ ist. Eine weitaus nützlichere Frage scheint es mir zu sein, ob diese Untersuchungsmethode uns in die Lage versetzt, übereinstimmende Informationen zu sammeln, die von emotionaler Überzeugung getragen werden und unser Wissen über solche Phänomene erweitern, die für das Leben der Erfahrenen und unsere gesamte Kultur bedeutsam sind“ (S. 524).
UFO-Begeisterte sollten über diese Aussagen eingehend nachdenken, bevor sie sich weiter auf Mack als Kronzeugen für UFO-Entführungen beziehen. Denn Mack macht darin deutlich, dass es ihm nicht auf eine objektive Realität anzukommen scheint. Jedenfalls lässt diese Aussage jede Art von Hintertür scheunenweit geöffnet. Er immunisiert sich damit gegen jegliche rationale Kritik. Auf gleiche Weise verhalten sich Vertreter beliebiger anderer parawissenschaftlicher Methoden. Sobald Kritik am kausalen Wirkmechanismus ihrer Methoden auftaucht, verweisen sie nach dem Motto „Wer heilt, hat recht“ auf deren angebliche Erfolge, aber auch, wie Mack, auf ihre Bedeutung. Da Mack zudem deutlich macht, dass er wenig von den konventionellen wissenschaftlichen Methoden hält, könnte man ihm auch kaum mit dem Popper’schen Falsifisierbarkeitskriterium, wonach Thesen mit wissenschaftlichem Anspruch grundsätzlich widerlegbar sein müssen, kommen. Wohl aber den Ufologen, die sich auf ihn als Wissenschaftler beziehen. Sie müssen sich klarmachen, dass sich Mack außerhalb des Rahmens der Wissenschaften bewegt und daher als Wissenschaftler nicht ernstgenommen werden kann!
Auch wenn ich aufgrund meiner Erfahrungen die Voraussage wage, dass UFO-Begeisterte Mack dessen ungeachtet auch weiterhin als wissenschaftliches Aushängeschild benutzen werden, wäre es doch theoretisch denkbar, dass sie sich vornehmlich auf die Inhalte von Macks Buch beziehen. Schon deshalb erscheint es angebracht, auch näher auf die 13 Fallgeschichten in Macks Buch und ihre Interpretation durch den Autor einzugehen.
Kein Autor, der von UFO-Entführungen überzeugt ist, versäumt es, darauf hinzuweisen, dass die meisten Interviewten „geistig völlig normal“ seien – so auch Mack. Auf Seite 30 oben schreibt er: „Alle Anstrengungen, [bei „Entführten“] ein psychopathologisches Muster zu erkennen, das über Störungen im Zusammenhang mit einem …traumatischen Ereignis hinausgeht, blieben ohne Erfolg“.
Bei angeblich erst durch ein Entführungstraumata ausgelösten Störungen – so erfahren wir einige Seiten zuvor – „reicht die Palette von Alpträumen und Ängstlichkeit bis hin zu chronischer nervöser Unruhe, Depressionen und sogar Psychosen[!]…“ (S. 25). Ob jedoch gerade Psychosen als Reaktionen auf traumatischen Erlebnisse entstehen können, ist unter Macks Fachkollegen zumindest umstritten. Im nächsten Absatz erklärt Mack dann entschuldigend, dass er vier seiner 76 Fälle von anderen Psychologen „kostspielig und zeitaufwendig testen“ ließ, und dass einer davon „stark gestört“ sei. Es handle sich um einen von zwei Fällen, „in denen eine stationäre psychiatrische Behandlung nötig“ gewesen sei. Warum nennt Mack keine Diagnose, die gewiss gestellt worden ist?
Man braucht kein Rechenkünstler zu sein, um somit auf eine Quote von 25% „stark Gestörten“ aller vier Getesteten zu kommen. Doch woher will Mack wissen, ob jene „Störungen“ inklusive Psychosen(!), die er einem Entführungserlebnis zuschreibt, tatsächlich durch eine UFO-Entführung ausgelöst wurden? Zumal er auf Seite 31 selbst feststellt: „Es ist… offensichtlich nicht ergründbar, welche Faktoren einer Entführung hinsichtlich ihres Einflusses auf die Persönlichkeitsbildung Ursache sind und welche Wirkung“! Und was ist mit den schon erwähnten mehr als 25% seiner Klienten, die er von vornherein „ausgesiebt“ hat? Mack scheint nach der Devise „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst manipuliert“ hast, zu handeln.
Es bleibt reine Definition, welche „Störung“ Mack einer Entführung zuschreibt und welche nicht. Wer, wie Mack es tut, in vielen Fällen Entführungen nicht nur in allerfrühester Kindheit, sondern sogar in früheren Existenzen „aufdeckt“, kann natürlich jede psychische Störung auf ein Entführungserlebnis zurückführen! Übrigens ist es so manchem „UFO-Forscher“ peinlich, wenn man Macks Ambitionen in Sachen Reinkarnationstherapie anspricht, kratzt dies doch erheblich am künstlich aufgebauten Image des „seriösen Harvard-Wissenschaftlers“.
Mack ist zugute zu halten, dass er die Personen seiner 13 in seinem Buch diskutierten „Fälle“ recht ausführlich auch in biographischen Einzelheiten schildert. Doch leider verzichtet er weitgehend auf eine chronologische oder sonstige systematische Darstellung. Auch fehlt jegliche vergleichende Übersicht, zum Beispiel in Form einer Tabelle bzw. genauen Statistik. Die biographischen Angaben sind recht selektiv. So erfahren wir über die so wichtigen Kinder- und Jugendjahre einiger „Entführter“ keine oder nur sehr spärliche Informationen. Bemerkenswert ist auch, dass er nahezu keine einzige Person von ihrem Äußeren her beschreibt (einzige „halbe“ Ausnahme ist „Dave“, von dem wir erfahren, dass er nur ein Auge besitzt). Wir erfahren also zum Beispiel nicht, ob seine „Entführten“ dick oder dünn, schön oder hässlich sind. Mack verhält sich in diesem Punkt wie die Verfasser der Evangelien, die mit keinem Wort etwas über das Aussehen Jesu berichteten. Auch ihnen ging es wie Mack allein um die „Message“.
Weit bedenklicher ist, dass der Autor sich fast vollständig auf die Berichte seiner „Klienten“ verlässt, also gar nicht erst den Versuch macht, gezielt deren Angehörige – vor allem Eltern und Geschwister – zu befragen.
Er hält es überhaupt nicht für notwendig, grundsätzlich objektiv nachprüfbare Angaben – zum Beispiel UFO-Beobachtungen oder Narben – zu überprüfen. Er befindet sich damit in „bester“ Gesellschaft mit anderen „Entführungs-Forschern“ – z. B. Johannes Fiebag -, die seltsamerweise auch nicht auf die Idee kommen, Hautmale von einem Dermatologen untersuchen zu lassen oder UFO-Sichtungen auf einen möglichen Stimulus hin zu überprüfen. Nur zu einer einzigen UFO-Sichtung ( zum „Fall Catherine“ ) zitiert Mack zwei Pressemeldungen zur Unterstützung der UFO-Hypothese (S. 199).
Mack trennt auch nicht scharf zwischen den spontanen „Erinnerungen“ und den erst unter Hypnose gewonnenen „Einzelheiten“, sondern wirft beides immer wieder durcheinander. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Macks Buch weit entfernt von einem wissenschaftlichen Anspruch ist, sondern weit eher eine reine Annektodensammlung, versehen mit einer Menge esoterischer Glaubensbezeugungen darstellt.
Ich habe mir die Mühe gemacht, alle Fallgeschichten in Macks Buch aufmerksam zu studieren und nach mehr als 30 Kriterien auszuwerten. Das mit Hilfe einer Psychologin erarbeitete vorläufige Ergebnis dieser Auswertung stellte ich im September 1996 auf der 7. Tagung der GWUP e. V. in der Archenhold-Sternwarte in Berlin unter dem Titel „UFO-Entführungen – zwischen Phantasie und Wahn“ in einem Referat vor. Dabei zeigte sich, dass alle 13 „Entführten“ ohne Ausnahme bereits Jahre vor „Aufdeckung“ der Entführungen stark esoterik- bzw. ufogläubig waren. Die meisten von ihnen (9) hatten zudem schon vor den ersten Hypnosesitzungen mit Mack Kontakte mit anderen „Entführten“ gehabt. Neun gaben an, aus einem streng religiösem – meist katholischen – Elternhaus zu stammen; nur zwei sprachen explizit von einer glücklichen Kindheit; sieben erlebten das Verhältnis zu ihren Eltern – meist zum Vater – als ausgesprochen negativ.
Mit einer einzigen Ausnahme bekundeten Macks „Entführte“ starke Minderwertigkeitsgefühle; zehn empfanden sich bereits während ihrer Kindheit als Außenseiter, und ebenso viele äußerten vor bzw. während der Sitzungen zum Teil grandiose Omnipotenz- und Auserwähltheitsgefühle, wie man sie eigentlich am ehesten bei den sog. Kontaktlern erwarten würde!
Sieben befanden sich bereits vor der Begegnung mit Mack in zum Teil jahrelanger psychologischer bzw. psychiatrischer Behandlung! Fünf gaben an, Drogen zu nehmen – drunter vor allem Haschisch, aber auch LSD und Alkohol.
Mindestens sieben litten unter aktuellen Lebenskonflikten (Tod der Mutter, Ehe- und Sexualprobleme, Arbeitslosigkeit usw.), ebenso viele äußerten diffuse Lebensängste, aber keine Ängste vor Entführungen, denn neun Personen empfanden die Entführungserfahrungen als überwiegend oder ausschließlich positiv(!) – von traumatischen UFO-Erlebnissen kann also kaum die Rede sein! Drei äußerten ambivalente Gefühle; und nur eine einzige der 13 Personen empfand ihre Erfahrungen als durchweg negativ. Ist es nur ein Zufall, dass es sich dabei um die einzige Person handelt, die kurz vor Beginn der Therapie mit Mack das schwerste irdische traumatische Erlebnis von allen erfahren hatte, nämlich den Tod ihrer Mutter? Zu denken geben sollte auch, dass die meisten Entführten ihre ersten Erlebnisse noch nicht im ufologischen Sinn interpretierten, sondern als religiöse bzw. parapsychische Erfahrung begriffen. Demnach ist es vielleicht nicht sehr verwunderlich, dass sich nur vier UFO-Sichter unter ihnen befinden (nebenbei bemerkt, alles Phänomene, die sich leicht identifizieren lassen). Erst nachdem sie mit der Entführungshypothese vertraut wurden (durch Bücher, Filme oder andere Entführte) fand nach und nach eine Umdeutung statt! Fünf von ihnen äußerten ET-Phantasien gar erst im Verlaufe der Sitzungen mit Mack! Doch acht berichteten von apokalyptischen Endzeitvisionen, wie sie für stark religiös motivierte Menschen typisch sind.
Zehn der dreizehn bekundeten zum Teil ungewöhnliche Sexualphantasien. Mehrere litten zuvor unter Potenzproblemen, Unfruchtbarkeit und sexuellen Identitätsproblemen. Gegen die Objektivität der geschilderten (ufologisch umgedeuteten) Erfahrungen spricht, dass diese höchst individueller Natur sind und demnach – entgegen den ständigen „Beschwörungen“ der Entführungsforscher – kaum Gemeinsamkeiten aufweisen: Die „ETs“ sehen nicht nur jeweils anders aus, sondern verhalten sich auch immer wieder anders. Auch die Entführungsorte sind höchst unterschiedlich.
In fünf Fällen fanden sich eindeutige Hinweise auf eine Psychose (Schizophrenie, paranoider Verfolgungswahn, Manie), in anderen auf weitere psychische Störungen (Borderline-Syndrom, Hysterie, Migräne). In rund jedem zweiten Fall (sechs Personen) verhalten sich die Entführten analog zum Persönlichkeitsprofil des Fantasy prone-Syndroms. Das heißt, sie lebten bereits während ihrer Kindheit in einer Phantasiewelt mit phantasierten Spielgefährten, erfanden phantastische Geschichten, glauben daran, über außergewöhnliche (para)psychische Fähigkeiten – vor allem über Heilkräfte (acht Personen) – zu verfügen usw.
Es gibt nicht den geringsten Grund, die neuzeitliche – sprich ufologische – Form des Dämonismus zur Erklärung der Entführungsgeschichten heranzuziehen, denn alle Erfahrungen und vor allem Emotionen lassen sich mühelos aus den Biographien der „Entführten“ herleiten. Mack erweist sich leider als völlig unfähig dazu. Wer Macks Buch nicht durch die Entführungsbrille liest und sich von den konfusen esoterischen Wunschphantasien des Autors nicht anstecken lässt, kann davon enorm profitieren.
Rudolf Henke
577 S., Gb., Register, ISBN 3884980785, DM 48,–.
Bettendorf’sche Verlagsanstalt
Essen (1995)
Quelle: JUFOF