Busby, Michael: Solving the 1897 Airship Mystery (2004)

Michael Busby:
Solving the 1897 Airship Mystery

Das ist ein sehr interessantes Buch, leider aber hauptsächlich aus Gründen, die sein Autor nie beabsichtigte. Im ersten Teil konzentriert sich Busby ausschließlich auf Luftschiff-Sichtungen in Texas, und zwar vom April 1897. Dafür wird jeder Zeitungsbericht verbatim abgedruckt und dann von ihm kommentiert.

Ein Fehler ist sicher, dass Busby die Welle von 1897 isoliert von allen anderen Airship-Wellen betrachtet (etwa 1908 und 1912-13 in Großbritannien, 1909 in Neuseeland) und sich nicht einmal in der UFO-Folklore auskennt (er spricht von der Area 54 und vom Roswell-Absturz 1952!). Zudem geht Busby von vornherein davon aus, dass sich irdische Luftschiffe hinter den Sichtungen verbergen, auch wenn die angeblichen Fähigkeiten dieser Luftschiffe absurd für die Zeit sind (sie flogen zum Beispiel in Gewitterfronten hinein!). Da das Buch geschrieben wurde, um zu beweisen, dass amerikanische Erfinder tatsächlich diese Luftschiffe konstruiert haben, ignoriert Busby längst feststehende Tatsachen, wie etwa, dass es sich bei einem großen Teil der Berichte um Schwindel, Ballone, Planeten und Sterne gehandelt hat (sein einziges Argument ist, normale Bürger könnten nie und nimmer einen Stern mit einem Luftschiff verwechseln!).

All seine Kommentare gehen davon aus, dass jede gemeldete Sichtung die eines amerikanischen Luftschiffs ist, darum habe ich Probleme nicht nur mit seinen generellen Schlussfolgerungen, sondern auch mit seinen Deutungen zu jeder Sichtung (die zudem hin und wieder "lustig" gemeint sind, aber nur selten lustig sind). Da wird munter über den Motor des Luftschiffs spekuliert; Berichte, nachdem von einem Luftschiff eine Kartoffel herunter gefallen sei (ein offenbar scherzhafter Bericht) kommentiert mit: Das zeigt, dass die Luftschiffe auch eine Küche hatte; schließlich werden für jede Nacht die Flugbahnen der Luftschiffe in Texas berechnet, wobei es dann auch gleich ist, dass die Sichtungszeiten mit der errechneten Bahn nun so gar nicht übereinstimmen wollen (eine vernünftige Erklärung wäre doch, dass eben ein heller Planet oder Stern unabhängig voneinander in der Atmosphäre häufiger Luftschiff-Berichte mit dem geheimnisvollen Gerät assoziiert wurde).

Weil Busby jede Verwechslung zwischen gewöhnlichen Stimuli und dem Luftschiff ausschließen muss, damit er seine irdische Erfinderthese belegen kann, kommt es zu Verrenkungen wie der, dass er einem Augenzeugen, der ein hellglühendes Objekt mit Schweif sah, das den Himmel querte (ein Bolide also) unterstellt, er sei opiumsüchtig gewesen, denn das Luftschiff habe keinen Schweif, also müsse es sich in diesem einen Fall um eine Drogenhalluzination gehandelt haben! (S. 41) In einem anderen Fall hört ein Zeuge Singen in der Luft und sieht das Luftschiff als fliegendes Kreuz (S. 132-133). Das bedeutet doch nur, dass religiöse Personen im Himmel etwas anderes sahen als diejenigen, die auf ihrer Nachtwache auf das Luftschiff warteten, aber für Busby ist die Erklärung – wieder Opium!

Den Kommentaren ungeachtet: Die Zusammenstellung der Originalberichte im ersten Teil des Buches ist höchst faszinierend. Da das Material unzensiert auftaucht, lassen sich verschiedene Feststellungen treffen, die manchmal auch mir neu waren:

So gibt es viel mehr Landungen als ich gedacht hatte. Jeder fünfte Bericht ist der einer Landung und/oder Reparatur des Luftschiffs. Mehrere Male wurden Abstürze gemeldet. Bei den Landungsberichten gaben die Piloten gerne und reichlich Auskunft über sich selbst und ihr Luftschiff.

Ein Großteil der Berichte ist sehr schnell enträtselt: Häufig wird nur ein helles Licht gesehen, und die Berichte klingen sehr eindeutig nach Sternen, die durch vorbeiziehende Wolken wie in Bewegung erschienen, oft auch wird das beobachtete Licht mit Sternschnuppen verglichen.

Als die Luftschiff-Welle in Texas auf ihrem Höhepunkt war, kamen "falsche Luftschiffe" hinzu. Manche uns heute grausam erscheinenden Methoden, etwa Fackeln, die an Vogelbeinen befestigt wurden (S. 147, 152) oder Modelheißluftballone (S. 157, 162) tauchen auf – aber auch noch jetzt verwechselte Stimuli wie die Venus (S. 169). Manche Verwechslungen sind fast unglaublich, so wird einmal ein vorbeifahrender Zug für das Luftschiff gehalten (S. 223-224): Weil die Zeitungen voller Luftschiffberichte waren, ließen Scherzbolde Ballone und Fackeln hochgehen, erfanden andere Berichte, wieder andere gaben Zeugenaussagen unter falschem Namen ab, und die angeblichen Augenzeugen mussten dementieren (S. 93, 165). Es nimmt nicht Wunder, dass die Zeitungsberichte sehr oft in einem scherzhaften Ton verfasst waren; selbst wenn sie Daten und Namen nannten, konnte den zeitgenössischen Lesern durchaus klar sein, dass es sich hier um Parodien handelte (z.B. auf S. 165-168 oder der Bericht über ein 210 Meter langen Luftschiffs auf S. 137, der nicht ernsthaft gemeint sein kann, aber von Busby ernst genommen wird). Manchmal meldeten sich Anwälte und Erfinder bei den Zeitungen und reklamierten das Luftschiff für sich, dementierten später aber (S. 253ff). Kurz: Es war ein Medienzirkus, und auf den fahrenden Wagen sprang jeder auf.

Es ist auffällig, wie viele der nahen Begegnungen mit Luftschiffen (falsche) Vorstellungen reflektieren, die die Menschen des ausgehenden 19. Jahrhunderts von Flugzeugen hatten: So schlägt das Luftschiff mit seinen Flügeln wie ein Vogel (S. 35, 115, 117, 164, 182, 226, 253), faltet die Flügel zusammen, nachdem es gelandet ist (S. 81, 167), hat Schwingen wie ein Schmetterling oder eine Fledermaus.

Die ersten Berichte schildern nur Lichter am Himmel. Diese Lichter werden mit dem Luftschiff irdischer (amerikanischer oder spanischer) oder außerirdischer Herkunft assoziiert, von dem man gerade im Scientific American hatte lesen können. Spätere Zeitungsberichte übernehmen häufig Details aus früheren Berichten – nicht nur in Texas, sondern aus den gesamten Vereinigten Staaten. Da verwundert es nicht, dass sich die Zeugenaussagen untereinander gleichen, aber auch nicht, dass potentielle Augenzeugen genau wussten, wie das geheimnisvolle Gefährt denn nun auszusehen hatte, wenn sie ein Licht sahen oder eine Begegnung erfinden wollten.

Am Verblüffendsten ist sicher, dass das Luftschiff in einem nicht allzu geringen Anteil der Fälle gar nicht technisch beschrieben wurde, sondern als Mischform zwischen Luftungeheuer und technischem Gerät – hier waren offenbar noch sehr viele traditionelle Vorstellungen wirksam: Einmal gleicht das Luftschiff einem "chinesischen Drachen, der Feuer durch seine Nüstern bläst" (S. 79), dann beschreiben drei Augenzeugen das gleiche Luftschiff einmal als fliegenden Alligator mit herunterhängenden Tatzen, als "Riesenfisch" und … als leuchtende Wolke! (S. 96-97) Man fragt sich, was gesehen wurde. Mehrmals gibt es auch Vergleiche mit Tornados, und der Leser wundert sich, ob nicht das ein oder andere Luftschiff einfach nur eine Wolke war. Die zeitgenössischen Artikel machen deutlich, dass die Augenzeugen oftmals nicht zufällig etwas sahen, sondern aus der Zeitung erfahren hatten, dass ein Luftschiff in der Region war und die ganze Nacht aufblieben, um es zu sehen. Wie oft war der Wunschgedanke der Keim einer Sichtung?

Gar nicht selten gelten die Luftschiffer als Außerirdische, einmal behaupten sie, sie kämen von einem verborgenen Kontinent am Nordpol (S. 118): Hier nimmt Busby die Beschreibung als richtig an, vermutet aber, die Luftschiffer logen, um ihre Erfindung (die sie gleichzeitig in den Zeitungen herausposaunten!) geheim zu halten. Besteht denn nicht die Möglichkeit, dass diese absurden Berichte durch und durch erfunden sind?

Interessant wird es, wenn wir zum Aurora-Fall kommen (S. 124-130, 331-344). Busby glaubt, hier sei eines von drei in Texas operierenden Luftschiffen abgestürzt, dieser Absturz habe eventuell mit dazu beigetragen, dass die Erfindung nie bekannt gemacht wurde.

Im zweiten Teil des Buches präsentiert Busby seine Lösung des Phänomens, nachdem er jede psychosoziale Interpretation ohne weitere Argumente vom Tisch gewischt hat: Er denkt, dass alle Luftschiffe von 1896/97 (drei davon waren in Texas unterwegs, eines stürzte bei Aurora ab) von verschiedenen Mitgliedern des Sonora Aero Clubs unter Mitarbeit von Charles August Albert Dellschau konstruiert wurden. Diese Lösung ist nicht neu und wurde bereits von Loren Coleman und Jerome Clark in "Fate" (Mystery Airships of the 1800’s, Mai 1973, S. 88-91; Juli 1973, S. 66-67) vorgeschlagen, obwohl Busby das verschweigt. Busby verfolgt in einer gewaltigen Fleißarbeit alle in Interviews mit Anwälten und Erfindern und Landeberichten genannten Namen von Konstrukteuren und Piloten in Unterlagen der amerikanischen Volkszählungen (ein sicherlich verdienstvolles Unterfangen), um die Realität der Piloten zu belegen. Fast 100 Seiten widmet er dieser Aufgabe, aber belegt die Existenz eines Mr Wilson in New York wirklich die Realität eines Piloten, der in einem Landungsbericht sagt, er hieße Wilson und stamme aus New York? Zumindest will er eine große Anzahl von Verbindungen zwischen den einzelnen Protagonisten nachgewiesen haben, aber bei Namen wie Wilson und Smith (ohne Vornamen) lässt sich sicherlich so manches belegen!

Letztlich: Falls reale Luftschiffe der Hintergrund der Berichte von 1896/97 sind, ist es schwer zu erklären, warum die Erfinder nie an die Öffentlichkeit gegangen sind. Die Erfindung war ja Gold wert, und wenn man dazu bedenkt, dass hier drei Jahre von den Brüdern Wright mit ihrem hopsenden Flugzeug bereits eine zeppelinartiges Gerät existierte, dass 150 Meilen schnell war und selbst in Gewitterstürmen navigieren konnte, dann ist dieses Schweigen um so rätselhafter. Busbys Erklärung: Entweder wurde die Erfindung von den Eisenbahngesellschaften aufgekauft, die die Konkurrenz unterdrücken wollten, oder aber, sämtliche Luftschiffe seien eben abgestürzt, ist wenig überzeugend. Schließlich lebten einige der angeblichen Erfinder noch zur Mitte des 20. Jahrhunderts, ohne je Anspruch auf das Luftschiff zu erheben.

Alles in allem bietet das Buch saubere, beispielhafte Recherchearbeit und einen interessanten und spannenden Lösungsansatz, der mich allerdings nicht zu überzeugen vermag. Trotzdem: Das Buch ist wichtig, gerade deshalb, weil hier – trotz eindeutiger Kommentierung – die Originalberichte jener Zeit ungekürzt zu finden sind.
Ulrich Magin

398 S., gb., ill., R., ISBN 1-58980-125-3, $ 24,95

Pelican Publishing Company
www.pelicanpub.com
Gretna, USA, 2004

Quelle: JUFOF 153: 90 ff