Childress, David Hatcher & Shaver, Richard: Versunkene Kontinente (2001)

David Hatcher Childress & Richard Shaver:
Versunkene Kontinente

In den 1940er Jahren erhielt Ray Palmer, der Herausgeber des Sciencefiction-Magazins “Amazing Stories“, einen Brief des offenbar geisteskranken Schweißers Richard Shaver, der angab, er höre Stimmen in seinem Kopf, die ihm von seinem früheren Leben als lemurischer Raumschiffpilot Mutan Mios erzählten. Palmer bat Shaver um die Zusendung weiterer Manuskripte, und verwandelte diese Ergüsse in simple Zukunftsgeschichten mit viel Action.

In den “Amazing Stories“ erschienen zwischen 1945 und 1947 zahlreiche Shaver-Geschichten, die von den außerirdischen Deros, Teros und Titanen, fliegenden Untertassen, Entführungen und den riesigen unterirdischen Städten der Wesen aus dem All handelten – allerdings nicht als Fiktion, sondern als Tatsachenberichte. Die Zeitschrift erhielt mehrere 10000 Briefe ihrer Leser, die Außerirdische, gewaltige Höhlen und Alien-Raumschiffe selbst gesehen haben wollten. Einer der Briefe stammte von einem Mr. Crisman. Die Nummer der “Amazing Stories“, die im Juni 1947 erschien, war ganz Shaver gewidmet.

Im selben Monat sah dann Kenneth Arnold seine Untertassen. Arnold wurde darauf von Ray Palmer unter Vertrag genommen, um die berühmte Maury Island-Sichtung, eine frühe Untertassen-Havarie, zu untersuchen. Zeuge war … Mr. Crisman! Es gab also bereits zwei Jahre vor der ersten UFO-Sichtung ein komplettes Szenario von Außerirdischen, die mit ihren Untertassen die Erde besuchen, hier unterirdische Basen bauen, in die sie Menschen entführen, deren Geschichte sie ohnehin von Urbeginn an gelenkt haben. Und dieses so genannte Shaver-Geheimnis wurde von den gleichen Leuten publiziert, die auch beim ersten Auftauchen der UFOs sofort zur Stelle waren.

Tatsächlich berief sich die frühe Ufologie noch stark auf Shaver. Albert Bender, der die Männer in Schwarz erfand, führte Shaver als Beleg an (S. 288), George Hunt Williamson, ein Gefährte Adamskis, Kontaktler und Pionier der Prä-Astronautik, übernahm in seinen Werken ganze Passagen aus Shaver und gab sie als eigene Erlebnisse aus (S. 329). “Es ist meine persönliche Überzeugung“, schrieb Shaver 1957 in einer UFO-Ausgabe der Zeitschrift “Amazing Stories“, “dass ich … den Lesern vor allen anderen von fliegenden Untertassen berichtet habe“. (S. 257) Und der moderne Mythos um Mischrassen zwischen Aliens und Menschen, von unterirdischen Basen bei Dulce und in Puerto Rico, ist natürlich reiner Shaver!

Es ist daher zu begrüßen, dass Shavers Geschichten (nach Ullstein-Ausgaben in den 1970ern) wieder in Deutschland erhältlich sind. Es wäre nur wünschenswert gewesen, hätte ein Historiker, und nicht ein Hysteriker wie Childress, die Edition dieser ideengeschichtlich wertvollen Texte unternommen. Denn Childress stellt Shaver nicht in den Kontext der frühen SF, sondern versucht, die reale Existenz der unterirdischen Welten der Außerirdischen zu belegen. Er zitiert dazu hauptsächlich aus der esoterischen und spekulativen Literatur, weist wohl darauf hin, dass Shaver seine Wahngebilde vor allem auch aus den Büchern von Charles Fort entnahm, wertet Forts Daten dann aber auch als Bestätigung für Shaver!

Das Buch enthält zwei Romane (oder “Tatsachenberichte“) Shavers, “Erinnerungen an Lemuria“ und “Die Rückkehr von Sathanas“, die zuerst in “Amazing Stories“ veröffentlicht wurden und dann 1948 als Buch erschienen; Childress selbst trägt mehrere Kapitel über unterirdische Welten und magische Meister bei.

Shavers autobiographische Berichte aus der lemurischen Zeit vor 12 000 Jahren sind recht einfältig, bevölkert von klischeehaften Charakteren (die pferdefüßige Geliebte, die sich bei Gefahr an ihn klammert), die seine recht eingeschränkte Phantasie in einer leicht vorhersagbaren Handlung agieren lässt, die – der Kontaktlerliteratur der 50er Jahre vergleichbar – immer wieder unterbrochen wird von langatmigen “wissenschaftlichen“ Erklärungen und Moralpredigten. Odin, Tyr, die Asen und Asgard, Zeus, die Engel unter dem Befehl des gefallenen Erzengels Sathanas – Shaver nutzt unverändert die Mythologien der Welt, vermischt dabei seine Wahnvorstellungen mit den Geschichten Lovecrafts und den Thesen Charles Forts, den er in- und auswendig kannte. (vgl. z.B. S. 164-167, 180, 198) Trotzdem haben die Geschichten – ähnlich wie die des vergleichbaren H. P. Lovecraft – eine eigentümliche Faszination.

Shavers Romane (die ja nur in der Überarbeitung durch Ray Palmer vorliegen) spiegeln dabei – außer der Tatsache, dass Untertassen, unterirdische Basen und Außerirdische eine Rolle spielen -, das spätere UFO-Phänomen kaum. Wohl aber nimmt Shaver mit der seinen Geschichten unterlegten Mythologie den UFO-Mythos voraus (Außerirdische Rassen haben in der Frühzeit die Erde erreicht, auf Atlantis und Lemuria Hochkulturen geschaffen, den Menschen gezeugt, sie verfügen über geheimnisvolle Gedankenstrahlen, sie entführen Erdlinge, um sie sexuell zu missbrauchen), und Arnolds Sichtung passt auch sehr gut zu Shavers Geschichten.

Im Gegensatz zu Shaver schreibt Childress häufig spannend und elegant. Ganze Passagen lang spielt er sogar mit der dann verworfenen Idee, das Ganze kritisch zu betrachten. Bald aber kehrt er zur Sensationsmache zurück, präsentiert die erfundenen Berichte des eines englischen Klempners, der unter dem Pseudonym T. Lobsang Rampa Romane über sein Leben als tibetischer Lama schrieb, als Tatsachen, behauptet, es gäbe keine zeitgenössischen Berichte über den Bau der Inka-Festung Sacsayhuaman (obwohl er dann im nächsten Satz Garcilaso de la Vega anführt, in dessen Buch genaue Aufzeichnungen über den Bau enthalten sind), letztlich ist Childress‘ Darstellung der Nazi-Suche nach der hohlen Erde extrem naiv und basiert auf esoterischen und erfundenen Quellen (z.B. Ravenscrofts “Spear of Destiny“).

Ärgerlich sind die zahllosen Schreib- und Satzfehler und die falschen Übersetzungen aus dem Englischen (z.B. Liga der Nationen statt Völkerbund, oder “Das Gold der Götter“ von Erich von Däniken – der deutsche Titel lautet eben “Aussaat und Kosmos“).

Es ist schade, dass ein Register fehlt, und dass selbst deutsche Bücher in den Literaturangaben nur in der amerikanischen Version angegeben sind. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Wer das Umfeld verstehen will, in dem das UFO-Kontaktlertum und der ET-Mythos 1947 gewaltsam von Ray Palmer geschaffen wurde, der muss dieses Buch gelesen haben. Oberflächlich betrachtet ist Shaver nichts anderes als unfähige Sciencefiction, tatsächlich aber ist er der Humus, aus dem die ETH erwuchs.
Ulrich Magin

373 S., geb., ISBN 3-89539-253-7, € 23,90

M V V
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Peiting (2001)

Quelle: JUFOF 148: 120 ff