The Best-Kept Secret
Als ich erstmals erfuhr, dass ein neues Jacques Vallée Buch erscheint (immerhin das erste Sachbuch zur UFO-Forschung, außerhalb seiner als „Forbidden Science“ veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen, seit dem 2010 mit Chris Aubeck herausgebrachten „Wonders in the sky“), war ich überrascht und hocherfreut.
In einem Interview vor einigen Jahren hatte der Autor angekündigt, dass er möglicherweise noch einmal ein Buch herausbringen würde, in welchem er seine Erfahrungen bezüglich UFO-Sichtungen und Simulationen im Sinne von psychologischer Kriegsführung seitens des Militärs oder aus Geheimdienstkreisen veröffentlichen würde (im Interview „More on Voronezh“ vom März 2018 mit Valiant Thor, zu finden im Internet,[1] äußerte sich Vallée wie folgt: „I don’t think it’s a large percentage (of UFO cases). I think those would be fairly limited operations. But I will make the assumption that some highly publicized UFO events are examples of this. I will eventually publish something on it, but I want to have my facts in order. I can think of three very well-known cases that I think fit exactly that kind of situation, and some are recent.“).
Leider ist das vorliegende Werk nicht dieses erhoffte Buch. Neben seinen Forschungen zum Bewusstsein hinter UFO-Sichtungen und der sogenannten Kontrollmechanismus Hypothese beschäftigt sich Vallée ausgiebig mit der Analyse von Materialproben, Rückständen, Artefakten etc. die von UFOs hinterlassen oder an Landeplätzen vorgefunden worden. Auch hier warten die Interessenten seit langem auf nähere Ergebnisse und Vallée greift dies auch im neuen Buch auf: „My colleagues and I are re-doing these measurements with more precise methods to find out the truth. We have applied the same techniques to the Council Bluffs samples, and we expect to publish those results in the scientific press, after proper peer review, in an effort to place the subject within the ‚official‘ scientific literature, where it has never been admitted.“ (S. 123) Diese Pionierarbeit ist hier bis auf einige Auszüge also nicht gegeben. Worum geht es aber dann in dem vorliegenden Buch? Die Geschichte die hier erzählt wird, soll sich am 16. August 1945 unweit des Geländes in Nevada ereignet haben, auf welchem die ersten Atombombentests stattfanden.
Die wichtigen Punkte um die es geht, sind einmal der Zeitpunkt (vor Roswell) und zum anderen die Örtlichkeit. Der Fall selbst ist hierbei kein unbekannter. So hat bereits Timothy Good über ihn berichtet (unter anderem in seinen Büchern: „Above Top Secret“ von 1987 und „Need to know“ von 2007 – siehe z.B. auch in einem Interview von 2007[2] und die beiden Zeugen des Vorfalls, Jose Padilla und Remigio Baca, haben selbst 2011 ein Buch mit dem Titel: „Born on the Edge of Ground Zero“, darüber geschrieben. Fakt ist aber auch, dass Forscher, die sich eingehend mit UFO-Absturzgeschichten beschäftigt haben (wie beispielsweise Donald Schmitt und Stanton Friedman – siehe hierzu bei Kevin D. Randle, der auch seine Probleme mit dem Fall hat[3]), sich nicht näher mit diesem beschäftigten, weil der Fall zu schwammig blieb und zu wenig „Fleisch an die Knochen“ gab aber auch weil er zu viel Parallelen zum Roswell-Zwischenfall aufwies und somit die Tatsächlichkeit des Ereignisses in Zweifel gezogen wurde. Die Geschichte steht und fällt auch hier mit den Zeugenaussagen. Und die beiden Zeugen waren zum Zeitpunkt der Ereignisse 7 und 9 Jahre alt. Schwer einzuschätzen bleibt, wie sehr ihre Erinnerungen im Laufe der Jahre durch andere Vorfälle (zuallererst den Roswell Zwischenfall) beeinflusst wurden. Die Ähnlichkeit zum Roswell-Vorfall ist zumindest an allen Ecken zu finden: das Objekt soll während eines Gewitters heruntergekommen sein (und möglicherweise war das Gewitter auch der Absturzgrund), auch hier gab es ein großes Trümmerfeld, auch hier gab es metallisches Material mit „Memory-Effekt“, das man zusammenknüllen konnte und welches sich dann wieder von selbst entzerrte, auch hier gab es eine großangelegte militärische Operation um das Objekt zu bergen und die Trümmer zu beseitigen etc. Handelt es sich bei den Ähnlichkeiten um Qualitätszeichen, zeigen sie also, dass es sich um dieselbe Art Objekt handelte, wie zwei Jahre später in Roswell, gefertigt aus denselben Materialien und für dieselben Störquellen anfällig? Das könnte sein. Genauso gut und wahrscheinlicher ist aber, dass die Geschichte der Zeugen im Laufe der Jahre durch die Berichterstattung zum Roswell-Zwischenfall verändert und angepasst wurde. Das muss kein bewusster Prozess gewesen sein, viel mehr kann dies unterbewusst geschehen sein. Fakt ist: es fehlen Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit. Keine Zeitungsberichte, keine Tagebuchaufzeichnungen, nichts liegt vor, aus welchem die Geschichte mit den Augen von damals gesehen werden kann. Das vorgebrachte Argument, dass Kinder die besseren und unvoreingenommeneren Beobachter seien, kann, bei aller grundlegenden Diskussion über diese Postulierung, hier nicht ziehen. Zwar waren die Zeugen zum Zeitpunkt des Vorfalls Kinder, nicht aber zu der Zeit als sie Jahrzehnte später darüber aussagten. Eine dritte Zeugin wird im Buch aufgefahren aber sie kann nur darüber berichten, dass sie die Absturzstelle besucht habe und etwas vom Material gesehen habe. Geboren wurde sie erst nach dem Vorfall. Alle anderen Zeugen die im Buch genannt werden, sind an sich für die Bewertung des Vorfalls wertlos, da keiner dieser Zeugen mehr am Leben ist. Ähnlich sieht es mit dem Material aus: einiges sei davon sogar als Lametta verwendet worden aber nichts davon ist mehr vorhanden. Anderes Material wurde vergraben und könnte somit eigentlich noch gefunden werden. Eigentlich. Aber die Bewegungen im Untergrund des Bodens haben alles längst in alle Richtungen abgeschwemmt. Und das einzige Material was heute noch vorhanden ist, zeigt keine Anomalien auf oder weist auf einen exotischen Ursprung hin. Am Sonderbarsten aber ist das Verhalten des Militärs an der Absturzstelle. Dem Militär scheint durchaus bewusst gewesen zu sein, dass es sich um etwas Besonderes handelt. Immerhin will man alles bergen und schickt entsprechende Truppen. Diese können den Absturzort erst nicht erreichen und erwirken sogar ein zerschneiden der Weidezäune, um ein Tor einzubauen. Hierdurch führt dann auch extra ein Weg, den man wegen des Objektes anlegen lässt. Sehr viel Aufwand aber anders als in Roswell nimmt man alles scheinbar nicht so ernst. In den Mittagsstunden rücken die Soldaten ab, um Essen zu gehen. Hierbei bleiben noch nicht einmal Sicherungsposten zurück, so dass sich die Kinder der Absturzstelle und dem Objekt nähern können, ohne durch das Militär davon abgehalten zu werden. Auch mit der Spurenbeseitigung nimmt man es eher lässig. So werden zwar viele Trümmerstücke eingesammelt und schlussendlich abtransportiert. Andere wiederrum werden seitens der Soldaten aber einfach vergraben. Erklärungen für das seltsame Verhalten des Militärs bietet das Buch nicht. Zweifellos haben sich die Autoren viel Mühe gemacht. Die Interviews mit den Zeugen nehmen über 80 Seiten des Buches ein. Auch wenn man über die Art der Befragung und der gestellten Themen (die Interviews wurden von Paola Leopizzi-Harris durchgeführt) geteilter Meinung sein darf, so zeigt sich doch das hohe Engagement mit welchem hier vorgegangen wurde.
Die interessantesten Teile im Buch sind die, wenn Vallée aus seinem Fundus an gelebter UFO-Geschichte berichtet. Hier merkt man nach wie vor, welchen Stellenwert der Autor innerhalb der Untersuchung des UFO-Phänomens vor allem in den stürmischen Jahren von Project Blue Book hatte. Und die Bücher welche Vallée in diesen Zeiten herausbrachte („Anatomy of a Phenomenon“, 1965, mit ersten Versuchen einer Klassifikation der Phänomene, „Challenge to Science“, 1966, zusammen mit seiner Frau und den ersten Auswertungen computergestützter Datenanalysen, „Passport to Magonia“, 1969, welches die Augen öffnete, dass Arnolds Sichtung möglicherweise Initialzündung für ein neues Interesse der Medien nicht aber Initialsichtung von UFOs war), gehören noch heute in jeden Bücherschrank am Thema Interessierter.
Doch auch die Anekdoten und das unerschöpfliche Wissen, was sich hier offenbart, können das Buch nicht mehr retten, hat doch Vallée mit der Veröffentlichung seiner Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit („Forbidden Science: Journals 1957-1969“, 1992) längst ein umfassenderes Werk vorgelegt (dem mittlerweile drei weitere Teile folgten und so den Werdegang Vallées bis zum Ende des letzten Jahrtausends nachempfindbar machen).
Überrascht hat mich auch, der unkritische Umgang der Autoren mit den UFO-Vorfällen von Aurora, Texas, 1897, und von Maury Island, Washington, 1947. Bestand bisher in der UFO-Forschungsgemeinde allgemeiner Konsens darüber, dass es sich bei den beiden Vorfällen um Schwindel gehandelt hat, so sind sich die Autoren hierüber nicht sicher.
Man muss die Einschätzung des Buches auch im Kontext der Werke vollziehen, die der Autor in der Vergangenheit bereits vorlegte. Und so kann dieses Buch, nur zwei Sterne bekommen. Die Hoffnung bleibt, dass Vallée dereinst das Buch vorlegen wird, in welchem er seine Forschungsergebnisse zu Artefakten und möglicherweise auch zu tiefgreifenden Interessen und Verwicklungen des militärischen und geheimdienstlichen Milieus in das UFO-Phänomen präsentieren wird. Ein solches Werk könnte ein weiterer Meilenstein sein und möglicherweise auch ein solides Resümee Vallées nach immerhin sechs Jahrzehnten UFO-Forschung. Es bleibt zu hoffen, dass mit „The best kept secret“ nicht das Vermächtnis des großen UFO-Forschers vorgelegt wurde.
Marius Kettmann, B.A. ∗ ∗ ∗ ∗ ∗
360 Seiten, geb., 30 Abb., ISBN: 979-8481834566, Preis: 22,14 € (pb: 23,67 €, e-book: 14,15 €)
www.trinitysecret.com
StarworksUSA, LLC und Documatica Research, LLC
Independently published, 2021
Quelle: JUFOF Nr. 259, 1/2022: 29 ff
[1] http://www.paranoiamagazine.com/2018/03/voronezh-interview-jacques-vallee/
[2] https://www.streetdirectory.com/etoday/-ujuupu.html
[3] http://kevinrandle.blogspot.com/2021/06/trinity-best-kept-secret-critique.html