Near-Death Experiences, UFO Encounters, and Mind at Large
Einleitung
„To many persons who have given some casual consideration to phenomena such as UFOs or NDEs, it may seem obvious that there are just two basic possibilities concerning what to make of them: Either they are products of fantasy, delusion, hoax, or hallucination—or they are real. Such thinking, though it may appeal to our ‘common sense’, may nevertheless end by fostering a facile form of reductionism.“[1] (S. 218).
The Omega Project von Kenneth Ring gehört zu einer Reihe von Publikationen über außergewöhnliche Erfahrungen (in diesem Falle über Nahtoderfahrungen und UFO-Entführungserfahrungen), welche die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Formen untersuchen und welche über Hypothesen, mit denen die Inhalte solcher Erfahrungen wörtlich zur Realität erklärt werden, hinausgehen.
Kenneth Ring ist inzwischen emeritierter Psychologieprofessor der University of Connecticut und insbesondere durch Publikationen zu Nahtoderfahrungen und deren Bedeutung bekannt (vgl. Ring, 2000; Ring, 1984; Ring, 1980 u.w.m.). In The Omega Project stellt er zwei Kernthesen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen:
- UFO-Entführungserfahrungen und Nahtoderfahrungen sind die gleiche Art von außergewöhnlicher Erfahrung und es gibt eine psychologisch umschreibbare Gruppe von Menschen, die zu solchen Erfahrungen neigen (die sogenannte encounter-prone personality,[2] S. 39)
- Die Erfahrungen stellen einen Fortschritt in der Evolution des Menschen dar und sollen das Schicksal unseres Planeten beeinflussen (ebd.)
Untersuchungsgegenstand und Methoden
Wie ist Kenneth Ring zu genau diesem Thema gekommen und welche Methoden hat er angewendet, um zu solchen Schlussfolgerungen zu gelangen? Im Vorwort des Buches und in der Einführung schildert der Autor, wie er von seinem Verleger das Buch Communion (dt.: Die Besucher; vgl. Strieber, 1988) von Whitley Strieber zugesandt bekam mit der Bitte, es zu lesen, weil die darin beschriebenen Erfahrungen für ihn als Psychologieprofessor, der sich bis dahin ausschließlich mit Nahtoderfahrungen beschäftigt hatte, eventuell interessant sein könnten. Während er wie in seinem Vorwort geschildert das Thema UFO-Entführungen zunächst kritisch betrachtete, überzeugten ihn das Buch und der Kontakt zu bekannten Personen mit Entführungserfahrungen von der Glaubhaftigkeit dieser Menschen (er traf sich zunächst mit Betty Andreasson-Luca und ihrem Mann Bob Luca; vgl. Fowler 1995; später auch mit Whitley Strieber selbst – der dann auch ein weiteres Vorwort zu The Omega Project beisteuert). In der Einführung des Buchs wird dann fast widersprüchlich zum Vorwort der Enthusiasmus von Kenneth Ring deutlich, der UFO-Konferenzen besucht und mit Entführungsforschern spricht, um immer mehr über diese Art außergewöhnliche Erfahrung zu lernen. Ring fasste den Entschluss, die Zusammenhänge zwischen UFO- und Nahtoderfahrungen sowie zwischen den Menschen, die solche Erfahrungen vorweisen, näher zu untersuchen.
Die drei folgenden Kapitel sind entsprechend der näheren Erläuterung von UFO- und Nahtoderfahrungen gewidmet. Kapitel 2 ist betitelt mit der „Vielfalt der UFO-Begegnungen“. Ring beschreibt das sehr breite Spektrum solcher Erfahrungen (Art der Sichtung, Reaktion darauf, Qualität der Erfahrung, Erinnerung an das Erlebnis, S. 42 f.), widmet sich danach aber eigentlich nur noch Nahbegegnungen. Der Großteil „unspektakulärer“ UFO-Sichtungen, wie sie z.B. der GEP gemeldet werden, spielt hier keine Rolle. Für die Nahbegegnungen werden vier Kerneigenschaften herausgearbeitet (S. 43 f.):
- „Oz-Faktor“, verändertes Bewusstsein
- erste solche Erfahrung bereits in der Kindheit (oft mit genau fünf Jahren)
- mehrere Erfahrungen unterschiedlicher Art sind typisch
- andere anomalistische Erfahrungen sind wahrscheinlich
Im Folgenden werden aus Rings eigenem Material Beispielfälle angeführt, die als CE II oder CE III zu kategorisieren sind. Interessant ist dabei, dass nach Ring solche Erfahrungen bzw. deren Schilderungen stets Diskontinuitäten aufzuweisen scheinen und nicht linear verlaufen (mehr wie Sagen oder Träume, S. 62). Auch können mehrere Zeugen einer Nahbegegnung unterschiedliche Typen von Erfahrung haben und das Erlebte unterschiedlich interpretieren, wie ein Fallbeispiel aufzeigt (S. 56 f.). Dennoch hält Ring aufgrund der Ähnlichkeit im Aussehen und Verhalten der geschilderten unbekannten Wesen eine externe Ursache für solche Erfahrungen für wahrscheinlich (S. 61).
Im Kapitel 3 geht es gezielt um „Nahbegegnungen der vierten Art“, also Entführungserfahrungen. Auch hier werden Beispielfälle angeführt mit allen typischen Eigenschaften (unterteilt in traumähnlich, schlafassoziiert und im Wachzustand erlebt). Der Autor weist auf die Ähnlichkeit der Inhalte von Entführungserfahrungen und der von Initiationsreisen wie die von Schamanen hin (S. 64). Er benennt die Inhalte als „absurd“ (S. 74), aber vermutet etwas Systematisches hinter ihnen. Die Berichtenden selbst, auch darauf macht Ring aufmerksam, reagieren unterschiedlich – manche halten ihre Erfahrung für real, manche wissen es nicht (S. 86).
Nahtoderfahrungen stehen im Mittelpunkt von Kapitel 4. Erneut auch anhand von Beispielfällen wird aufgezeigt, dass und wie diese Erfahrungen sich von UFO-Entführungen unterscheiden – es sind zumeist friedliche Erfahrungen, die andere emotionale Reaktionen auslösen als Entführungen und andere Inhalte haben (S. 91) Warum dann aber die gemeinsame Behandlung beider Erfahrungstypen? Auf einer abstrakteren Ebene entstehen sehr wohl Gemeinsamkeiten – die archetypische Struktur einer Nahtoderfahrung etwa ist auch eine Inititationsreise (S. 92), und ganz konkret wird ein Beispiel einer Nahtoderfahrung gebracht, die einen Raumschiffflug und Wesen, die durchaus Aliens sein könnten, enthält (S. 110).
Umfang und Inhalt der Studie, des Omega Project, erläutert der Autor in Kapitel 4. Er bemängelt, dass klare psychologische Eigenschaften von UFO-Entführten noch unbekannt sind (und zitiert ausführlich viele Quellen dazu). Auch nähere Daten zur vieldiskutierten Fantasy Proneness fehlen noch (vgl. Fußnote 2). Ähnliches gilt für Nahtoderfahrungen – so ist etwa unklar, warum nur ca. 1/3 der Personen, die sich in Todesnähe befanden, solche Erfahrungen gemacht haben bzw. darüber berichten können.
Mit seinem Projekt wollte Kenneth Ring nach spezifischen psychologischen Charakteristika suchen, die Personen mit solchen Erfahrungen auszeichnen (S. 113), etwa die Fähigkeit zu paranormalen Erfahrungen allgemein, zu veränderten Bewusstseinszuständen oder Dissoziation, das Vorkommen von Missbrauch und Traumata in der Kindheit sowie psychophysische Veränderungen und Veränderungen in Glauben und persönlichen Wertvorstellungen (die oft thematisiert werden, zu denen aber ein systematischer Nachweis fehlt). Dazu wurde eine quantitative Studie mit neun teils eigens entwickelten Fragebögen vorbereitet und durchgeführt (S. 118–122, Fragebogenbatterien im Anhang I). Es wurden Personen über Kontakte zu weiteren Entführungs- und Nahtodforschern angeschrieben und um das Ausfüllen solcher Fragebögen gebeten – 264 vollständige Antworten konnten erhalten werden. Diese wurden dann in vier Gruppen eingeteilt (Nahtoderfahrung erlebt, an Nahtoderfahrungen interessiert, UFO-Erfahrung erlebt, an UFO-Erfahrungen interessiert). Die nur Interesse am jeweiligen Thema Angebenden ohne eigene Erfahrungen dienten zum Teil jeweils als Kontrollgruppe, manchmal waren jedoch auch Vergleiche zur „Normalbevölkerung“ möglich.
Ergebnisse und „Omega-Theorie“
Die Ergebnisse der Studie werden in den folgenden drei Kapiteln ausführlich vorgestellt und alle statistischen Analyseergebnisse, die dem zugrunde liegen, sind im Anhang II tabellarisch aufgeführt. Kapitel 5 widmet sich zunächst Erlebnissen in der Kindheit der Befragten.
Kenneth Ring schildert, dass Personen mit Nahtod- oder UFO-Erfahrungen im Bereich der Fantasy Proneness gegenüber den Kontrollgruppen (die jeweils am Thema Interessierten ohne eigene Erfahrungen) keine Unterschiede aufweisen (S. 126 f.), sehr wohl aber im Bereich „andere Realitäten und paranormale Erfahrungen in der Kindheit“ (S. 127 f.): „[…] what we discovered from our analysis […] is that persons who as adults report UFOEs or NDEs are not as children especially inclined toward a world of fantasy, but they are apparently already sensitive to nonordinary realities—and this is particularly true of our UFOE respondents.“[3] (S. 129). Interessant ist, dass hier bereits ein klarer Unterschied zwischen Fantasie und dem als „andere Realität“ Wahrgenommenen vorausgesetzt wird.
Anhand von Fallbeispielen werden verschiedene Arten und Inhalte außergewöhnlicher Erfahrungen, aber mit wiederkehrenden Motiven, auch die gesamte Kindheit über bei solchen Personen beschrieben (S. 130–135). Wenn die Befragte Gina Willoughby äußert: „My life has been a case history of paranormal potpourri.“ (S. 134), dann macht das klar deutlich, dass eine Einzelfalluntersuchung z.B. einer herausragenden UFO-Sichtung bei einer solchen Person kaum sinnvolle Erkenntnisse über deren Ursache hervorbringen kann, weil dann alle anderen Anteile ignoriert werden! Willoughby beschreibt z.B., dass sie mit zehn Jahren regelmäßig telepathischen Kontakt mit einer beobachteten Bigfoot-Kreatur und mit Feen gehabt hat und diese Erfahrungen scheinbar ihrer Tochter vererbte u.v.m. In solchen Fällen kann nur die Gesamtschau auf die Person und ihre Erfahrungen sinnvoll sein. Wenn UFO-Forscher Einzelsichtungen solcher Personen „herauslösen“ und z.B. in Fallkataloge aufnehmen, geht das verbindende Element der erfahrenden Person verloren. Es stellt sich die Frage, wie zielführend eine objektzentrierte UFO-Forschung im Bereich der Nahbegegnungen überhaupt sein kann.
Weiterhin berichten Menschen mit UFO- oder Nahtoderfahrungen nach Ring häufiger über Missbrauch, Traumata und schwere Erkrankungen in der Kindheit (wobei weitere vergleichbare Stressfaktoren denkbar sind, nach denen aber nicht gefragt wurde, S. 138 f.). Alle untersuchten Gruppen weisen größere Tendenzen zur Dissoziation auf als die Normalbevölkerung (S. 141–143). Diese psychologischen Eigenschaften führten den Autor zu der „Entwicklungstheorie für Tendenzen zu außergewöhnlichen Erfahrungen“ (S. 143 f.): Durch eine Historie von Missbrauch und Trauma in der Kindheit entwickeln bestimmte Personen dissoziative Tendenzen als Verteidigungsreaktion und öffnen sich dadurch gegenüber anderen Realitäten. Eine Kerneigenschaft ist dabei deren Fähigkeit zur psychologischen Absorption. Die Genese in der Kindheit erweitert die Wahrnehmung und dadurch erhalten solche Personen, ausgelöst durch Todesnähe oder als anomal erlebte Himmelserscheinungen, Zugang zu Wahrnehmungen, die andere Personen nicht haben können, weil die Fähigkeit zur psychologischen Absorption fehlt (S. 146). Hiermit charakterisiert Ring initial die von ihm beschriebene encounter-prone personality (S. 145). An dieser Stelle noch unerwähnt bleibt allerdings die Fragestellung: Was sind diese anderen Realitäten und wieviel externalen Anteil haben diese?
In Kapitel 6 werden die Ergebnisse bezüglich Veränderungen bei den befragten Personen nach ihren Erfahrungen beschrieben. Menschen mit Nahtod- oder UFO-Erfahrungen haben hochsignifikant mehr und anhaltende psychophysische Veränderungen verschiedenster Form nach ihren Erfahrungen als die Kontrollgruppen (z.B. bestimmte Empfindlichkeiten, Änderungen der Vitalwerte, emotionale Veränderungen, paranormale Erfahrungen etc.; S. 153 f., S. 168) Dieses Ergebnis hat die höchste Signifikanz in der gesamten Studie und die größte Ähnlichkeit zwischen Nahtod- und UFO-Erfahrungen überhaupt. In Fallbeispielen wird insbesondere über die elektrische Sensitivität berichtet, bei der Elektrogeräte im Umfeld von Personen mit solchen Erfahrungen so häufige und so starke Fehlfunktionen (bis hin zur Zerstörung) haben, dass dies sehr beeindruckend wirkt. An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Autor in allen Kapiteln, die die Ergebnisse seiner Studie umfassen, immer wieder auch die Einschränkungen seiner Erkenntnisse diskutiert (hier S. 166 f.). Es handelt sich hier ja um durch die erlebenden Personen selbst berichtete Veränderungen, es fehlt die Kontrolle anderer Veränderungen im Lebensstil etc., und so regt Ring hier an, Labortests zur objektiven Validierung der Befragungsergebnisse durchzuführen. Solche Hinweise auf mögliche Anknüpfungspunkte an die Omega-Projekt-Studie bereichern das Buch – dem Rezensenten sind aber leider kaum Arbeiten in diese Richtung nach 1992 bekannt.
In Bezug auf die geistigen Veränderungen spricht Kenneth Ring das Kundalini-Syndrom an (eine aus dem Bereich des Yoga stammende Bezeichnung für unerwünschte, unangenehme körperliche und geistige Erfahrungen im Kontext intensiver kontemplativer Praktiken) und nennt das, was Personen mit solchen Erfahrungen durchmachen, eine psychospirituelle Transformation (S. 165). Solche spirituellen Krisen können Ergebnis außergewöhnlicher Erfahrungen sein und auch die Unterstützung durch kompetente Beratung erfordern (vgl. Hoffmann und Heise, 2018 und hier insb. Hofmann, 2018).
Der Autor fasst zusammen, dass für ihn außergewöhnliche Erfahrungen das Tor zu einer radikalen psychobiologischen Transformation der menschlichen Persönlichkeit zu sein scheinen (S. 168). Er nennt das Ergebnis eine „höhere Ebene der menschlichen Natur“, ein „hoch entwickeltes menschliches Wesen“ bzw. den „Omega-Prototyp“ (S. 169). Warum allerdings die Veränderungen im Kontext solcher Erfahrungen zu dieser Weiterentwicklung führen sollen, wird allenfalls mit Literatur begründet, die sich auf den Bereich des Kundalini bezieht. Auch wenn dieses Syndrom in der psychologisch-akademischen Welt durchaus anerkannt ist, fehlt dem Rezensenten hier eine klarere Nachvollziehbarkeit.
Ring geht jedoch in seiner Interpretation (die er erneut aber auch als solche kennzeichnet) noch weiter – für ihn soll das neue Bewusstsein von Menschen mit solchen Erfahrungen letztlich zur Transformation der gesamten Gesellschaft führen (das eigentliche Omega-Projekt! S. 170), insbesondere aufgrund der hohen Inzidenz der Erfahrungen. „Die wirkliche Bedeutung von Nahtod- und UFO-Nahbegegnungen liegt in ihren evolutionären Implikationen für die Menschheit.“ (S. 172) Diese Interpretation ist inzwischen 30 Jahre alt, und im Lichte der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen weltweit fällt es dem Rezensenten schwer anzunehmen, eine solche Transformation in unserer Gesellschaft würde in größerem Umfang stattfinden. Hierfür fehlen inzwischen seit Jahrzehnten konkrete Hinweise.
Die Veränderungen in Glaubens- und Wertvorstellungen von Menschen mit UFO- und Nahtoderfahrungen werden in Kapitel 8 beschrieben. Alle Gruppen (auch die Kontrollgruppen) berichten über mehr Altruismus, ein größeres soziales Bewusstsein und gesteigerte Spiritualität (S. 175). Sehr häufig werden Liebe und Mitgefühl als Sinn des Lebens betrachtet (S. 178). Die wichtigste Änderung in den Werten ist ein neues ökologisches Bewusstsein; auf die Visionen eines planetaren Untergangs bei Nahtod- und UFO-Erfahrungen wird verwiesen (S. 180 f.). Auch eine hochsignifikante Entwicklung zu religiösem Universalismus wird berichtet (S. 183 f.) – nach den Erfahrungen werden die Personen nicht religiöser im Sinne einer organisierten Glaubensform, sondern spiritueller. Oft wird eine Art „missionarischer Auftrag“, der sich aus den Erfahrungen ergibt, beschrieben (S. 187). Das reine Interesse an solchen Erfahrungen (in den Kontrollgruppen), so zeigte sich, kann aber die gleichen Veränderungen in persönlichen Ansichten hervorrufen (S. 191). Hier ist natürlich nach den Ergebnissen zu fragen – nach vielen Jahrzehnten, in denen Menschen UFO- oder Nahtoderfahrungen machen, ist eine nennenswerte Verbreitung oder Transmission der erlangten Glaubens- und Wertvorstellungen über die Publikationen entsprechend forschender Personen hinaus kaum festzustellen. Kenneth Ring erwähnt aber auch einschränkend, dass noch separat zu ermitteln ist, warum und wie diese Wertvorstellungen sich für die betroffenen Personen überhaupt verändert haben (S. 192).
Im Kapitel 9 werden die bis hierhin durch die Befragung der Personen erlangten Erkenntnisse in eine Theorie zu überführen versucht. Der Autor gibt eingangs zu bedenken, dass die Inhalte solcher Erfahrungen direkt für real zu halten, durchaus attraktiv erscheint (Gott und Liebe erwarten uns nach dem Tod, Aliens gibt es wirklich) – genau das kann die kritische Suche nach den wirklichen Ursachen aber behindern (S. 194 f.) Ein deutliches Signal für die UFO-Forschung und insbesondere für die Anhänger der ETH! Kenneth Ring lässt sich hierdurch keineswegs denjenigen Autoren zuordnen, welche außerirdische UFOs oder ein Leben nach dem Tod durch entsprechende Erfahrungen für bewiesen halten. Für ihn ist z.B. der Zwang in der UFO-Forschung, UFOs entweder für Fantasie oder für echte Raumschiffe zu halten, hochproblematisch (S. 218 f.; vgl. auch das Zitat in der Einleitung der Rezension). Ring nähert sich möglichen Ursachen für solche Erfahrungen anders.
Eine Theorie, so Ring, sollte drei Faktoren berücksichtigen: einen möglichen Auslöser der jeweiligen Erfahrungen, die Sensitivität mancher Personen für diese Auslöser und die konstanten Muster der gemachten Erfahrungen (S. 196 f.). Als möglichen Auslöser verweist der Autor auf die gut bekannten Untersuchungen von Paul Devereux und Michael Persinger zur elektromagnetischen Stimulation des Temporallappens. Bekannt ist, dass Personen mit bereits bestehender erhöhter Labilität des Temporallappens die gleichen psychologischen Eigenschaften aufweisen wie die encounter-prone personality (S. 206 f.). Rings Fazit: Nahtoderfahrungen und UFO-Erfahrungen liegt ein gemeinsamer neurologischer Mechanismus zugrunde (S. 203), der jeweils unterschiedlich ausgelöst werden könnte: durch ortsgebundene elektromagnetische Eigenschaften, durch unbekannte Objekte, durch physiologische Effekte im Gehirn an der Schwelle des Todes etc. Ein großer Vorteil dieser These liegt darin, dass solche neurologischen Auslöser auch die psychophysischen Veränderungen der Erfahrenden erklären könnte (S. 204). Wie genau daraus dann elektrische Sensitivität wie die oben beschriebene entsteht, bleibt allerdings unklar.
Sehr intensiv beschäftigt sich der Autor im Folgenden damit, wie die Inhalte der Erfahrungen insbesondere bei UFO-Entführungen zustande kommen. Ganz eindeutig verweist Kenneth Ring auf die Popkultur: „The extraterrestrial-spacecraft interpretation, though it is occasionally mentioned in earlier periods, is simply the most recent and popular of these projections onto the Rorschach of the UFO blob in the sky.“[4] (S. 209) Wie eng das Phänomen der UFO-Erfahrungen mit der Populärkultur und Science-Fiction verwoben ist, wird durch viele Verweise auf bekannte Autoren belegt, etwa Hilary Evans (1984), Martin Kottmeyer, Bertrand Méheust oder Jacques Vallée (S. 210 f.) Erneut zeigt Ring auf, dass Nahtoderfahrungen und UFO-Entführungen viel mit der Struktur schamanischer Reisen gemeinsam haben (S. 214 f.) und erneut vertritt er eine nichtreduktionistische Sichtweise, ohne dabei die geschilderten Erlebnisse 1:1 für bare Münze zu nehmen: die außergewöhnlichen Erfahrungen ermöglichen für Ring einen Einblick in eine andere Realität, die aber durch kulturelle Prägungen verzerrt interpretiert wird (S. 216–218). Er benennt diese Realität als „imaginal realm“[5], eine nicht durch Sinne oder durch Wachbewusstsein (inkl. Fantasie) erreichbare Realität, die nur über alternative Bewusstseinszustände erfahrbar wird (S. 220). Als Vertreter einer ähnlichen Sicht zitiert er dabei insbesondere die britische UFO-Forscherin Jenny Randles, deren Bücher er als „leider in den USA nicht besonders bekannt“ bezeichnet (S. 222).
Kenneth Ring erweist sich damit als einer der wenigen US-amerikanischen Forscher, der insbesondere die europäischen Bemühungen um Alternativen zur ETH aus den 70-er und 80–er Jahren rezipiert hat und deren Erkenntnisse für seine eigene Theorie zu außergewöhnlichen Erfahrungen weiterverwendet. Wie schade ist es, dass diese gedanklichen Richtungen 30 Jahre später erneut zugunsten einer platten „Nuts-and-Bolts“-Deutung von UFOs i.e.S. ignoriert werden, ausgelöst durch die staatlichen Veröffentlichungen zu UFO-Sichtungen des Militärs!
Das letzte Buchkapitel vertieft das Konzept des globalen Bewusstseins des Planeten bzw. der Menschheit für die Fähigkeit der Menschen, den Planeten zu zerstören, in Form des Mind at Large (siehe Buchuntertitel, ein von Michael Grossos Buch The Final Choice übernommener Begriff). Die beschriebenen außergewöhnlichen Erfahrungen enthalten religiöse Gedanken, Erlösungsgedanken, ohne dass sie auf eine traditionelle Religion angewiesen sind (S. 229). Während UFO-Entführungen dabei als Spiegelung unseres eigenen Verhaltens gegenüber unserer Umwelt (man denke an die kühle Distanziertheit der Entführer) interpretiert werden, sollen Nahtoderfahrungen eine Warnung enthalten vor einer „planetaren Nahtoderfahrung“ (S. 229 f.) Die bereits erwähnten bekannten Personen Whitley Strieber und Betty Andreasson-Luca werden als Beispiele für Entführte benannt, die umweltbezogene Botschaften übermittelt bekamen und weitergaben (S. 231 f.). Das ist der Unterschied zu den Kontaktlern: Die (immer mehr werdenden) Menschen mit den UFO-Erfahrungen, nicht die Aliens selbst, sollen unseren Planeten vor unserer Ausbeutung und Zerstörung schützen, Ring nennt dies „demokratische Prophetie“ (S. 235). Natürlich lässt sich dies heute, 30 Jahre nach Erscheinen des Buches, gut hinterfragen: Warum haben die Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten nicht weiter zugenommen? Wo ist die Bewegung der Millionen von Entführten und Nahtod-Überlebenden mit ihrer ökologischen Botschaft an uns heute? Die von Ring skizzierte „Omega Revelation“, so viel wissen wir jetzt, hat nicht stattgefunden oder hatte bis heute keinen Effekt.
Auch der evolutionäre Aspekt wird nochmals beleuchtet: Das eigentliche Omega-Projekt ist die Evolution, das Unterfangen des Mind at Large, psychisch, physisch und spirituell neue Menschen zu produzieren, die den Planeten retten, „Omega Prototypes“ (S. 238). Eine „Schamanisierung der Menschheit“ findet statt, die ein „Leben in zwei Welten“ ermöglichen kann (das Leben in der Realität und im Imaginal Realm; S. 239 f.; vgl. auch Kramer 2013). Außergewöhnliche Erfahrungen identifiziert Ring dabei als „Agenten der Dekonstruktion“, um die alltägliche Wahrnehmungs- und Vorstellungswelt herauszufordern (S. 243, 246), auch hier zitiert er Vertreter einer dekonstruktivistischen Sichtweise von UFO-Erfahrungen, etwa Jacques Vallée, Carl Raschke, Terence McKenna (S. 245).
Was genau das Mind at Large ist, ob eine externe oder die (kollektive) menschliche Intelligenz, bleibt letztlich aufgrund der vielen unterschiedlichen Referenzen etwas unklar. Wichtig ist: Kenneth Ring trennt diese spekulativen Überlegungen der letzten beiden Kapitel bewusst von den Ergebnissen seiner quantitativen Befragungen und er kennzeichnet sie ausdrücklich als solche.
Fazit: Forschungsansätze und Spekulationen
Kenneth Rings The Omega Project beleuchtet wie nur wenige Publikationen den Zusammenhang zwischen verschiedenen außergewöhnlichen Erfahrungen und forciert den Blick über den Tellerrand der UFO-Forschung: Sichtungen mit hoher Strangeness, Nahbegegnungen, UFO-Entführungen, können in der Fallermittlung niemals als vom erlebenden Individuum losgelöste, als einmalige spezielle Geschehnisse betrachtet werden; sie sind Teil des Lebens und der Persönlichkeit eines einzelnen Menschen. Während insbesondere der Vergleich von Nahtoderfahrungen und UFO-Entführungen auch in anderen Publikationen vorkommt (vgl. insb. Fowler, 1990; 1996), ist die psychologische Studie mit der sehr umfangreichen quantitativen Befragung von über 200 Teilnehmenden sicherlich einzigartig. Der Einsatz selbst entwickelter, teils vorab nicht evaluierter Fragebogenbatterien und das ausschließliche Stützen auf von den Teilnehmenden selbst berichtete Sachverhalte kann hierbei durchaus kritisch gesehen werden (das geschah auch schon kurz nach der ersten Publikation von Rings Studie, vgl. Ring und Rosing, 1990; Vincent, 1991). Auch halten die weitergehenden Hypothesen Rings bezüglich der Rolle von Menschen mit solchen außergewöhnlichen Erfahrungen 30 Jahre nach Erscheinen des Buchs nicht stand.
Dennoch können Form, Methodik und Inhalt des Buchs bis heute als vorbildhaft für Publikationen im anomalistischen Bereich angesehen werden: Die Beschreibung des Herangehens an das Thema, der Einschluss der Arbeitsmaterialien und -ergebnisse in den Anhängen, der umfangreiche Endnoten- und Quellenapparat sowie ein Stichwortverzeichnis ermöglichen eine hohe Transparenz gegenüber den Lesenden, die die Untersuchung nachvollziehen möchten. Die Trennung von Studie, abgeleiteten Ergebnissen und darauf aufsetzenden Spekulationen des Autors und die kritische Diskussion des Vorgehens an vielen Stellen erlauben eine passgerechte Einordnung des Gelesenen und eigene Überlegungen zum Thema.
Was lehrt The Omega Project die am UFO-Thema Forschenden des Jahres 2023? Wir haben längst noch nicht alles über UFO-Erfahrungen mit hoher Strangeness lernen können (wohl auch wegen der Seltenheit der Fälle, zumindest im Fundus der GEP). Wir werden das aber auch niemals können, wenn wir uns auf die Inhalte der Erfahrungen konzentrieren, diese nicht hinterfragen und andere Aspekte der Lebenswelt solcher Melder und Melderinnen ausschließen. Wie in diesem Teilbereich unseres Themas besser vorgegangen werden kann (das betrifft insbesondere eine starke subjektzentrierte Forschung), das kann Kenneth Rings Buch auch nach 30 Jahren noch vermitteln – was es für alle an solchen Erfahrungen und deren sachgerechter Untersuchung Interessierten zur empfehlenswerten Lektüre macht.
Danny Ammon ∗ ∗ ∗ ∗ ∗
Quellen
Evans, Hilary: Visions – Apparitions – Alien Visitors. Wellingborough: The Aquarian Press, 1984
Fowler, Raymond E.: Die Wächter II. Weilersbach: G. Reichel Verl., 1996
Fowler, Raymond E.: Der Fall Andreasson. Weilersbach: G. Reichel Verl., 1995
Fowler, Raymond E.: Die Wächter. Köln: Bastei-Lübbe, 1990
Gow, Kathryn; Lurie, Janine; Powell, Anthony; Basterfield, Keith: Fantasy Proneness and Other Psychological Correlates of UFO Experience. In: European Journal of UFO and Abduction studies 2.2 (2001), S. 45–66
Hofmann, Liane: Das Kundalini-Phänomen und andere vegetativ-energetische Störungen. In: Hofmann und Heise, 2018, S. 215–232
Hofmann, Liane; Heise, Patrizia: Spiritualität und spirituelle Krisen. Stuttgart: Schattauer, 2018
Kramer, André: Leben in zwei Welten. Groß-Gerau: Ancient Mail Verl., 2013
Powers, Susan M.: Fantasy Proneness, Amnesia, and the UFO Abduction Phenomenon. In: Dissociation – Progress in the Dissociative Disorders 4 (1991), Nr. 1, S. 46–54
Ring, Kenneth: Lessons from the Light – What We Can Learn from the NDE. New Hampshire: Moment Point Press, 2000
Ring, Kenneth: Heading Toward Omega – In Search of the Meaning of the Near-Death Experience. New York: William Morrow, 1984
Ring, Kenneth: Life At Death – A Scientific Investigation of the Near-Death Experience. New York: Coward, McCann & Geoghegan, 1980
Ring, Kenneth; Rosing, Christopher J. The Omega Project: An Empirical Study of the NDE-Prone Personality. Journal of Near-Death Studies 8 (1990), Nr. 4, S. 211–239. DOI: 10.17514/JNDS-1990-8-4-p211-239
Strieber, Whitley: Die Besucher. Wien: Ueberreuter, 1988
Vincent, Ken R.: Concerns about Ring and Rosing’s Omega Project. Letter to the Editor. Journal of Near-Death Studies 9 (1991), Nr. 4, S. 259–261. DOI: 10.17514/JNDS-1991-9-4-p259-261
320 Seiten, geb. + br., ISBN-13: 978-0688107291, Preis 31,38 € (gebraucht). Nur antiquarisch oder als eBook u.a. hier erhältlich:
William Morrow & Co
www.harpercollins.com/collections/ + william-morrow
New York, USA, 1992
[1] „Für viele Menschen, die sich mit Phänomenen wie UFOs oder Nahtoderfahrungen beschäftigt haben, gibt es offensichtlich nur zwei grundsätzliche Möglichkeiten, sie zu deuten: Entweder sind sie Produkte der Fantasie, der Wahnvorstellung, von Betrug oder Halluzination – oder sie sind real. Eine solche Denkweise mag zwar an unseren ‚gesunden Menschenverstand‘ appellieren, kann aber am Ende einem allzu oberflächlichen Reduktionismus Vorschub leisten.“ (Übers. d. Rez.)
[2] etwa „begegnungsanfällige Persönlichkeit“, in Anlehnung an die psychologisch umschreibbare „fantasy-prone personality“, die ebenfalls als zu UFO-Entführungserfahrungen neigend beschrieben wurde, vgl. etwa Gow et al. 2001; Powers, 1991
[3] „[…] was wir bei unserer Analyse […] heraus-gefunden haben, ist, dass Personen, die als Erwachsene von UFO- oder Nahtoderfahrungen berichten, nicht als Kinder bereits eine besondere Neigung zu einer Welt der Fantasie haben, sondern offenbar bereits für nicht-alltägliche Realitäten sensibilisiert sind – dies gilt insbesondere für unsere Befragten mit UFO-Erfahrungen.“ (Übers. d. Rez.)
[4] „Die Interpretation des außerirdischen Raum-schiffs, auch wenn sie in früheren Zeitperioden gelegentlich bereits erwähnt wird, ist schlicht die jüngste und die populärste dieser Projektionen auf den Rorschach-UFO-Klecks am Himmel.“ (Übers. d. Rez.)
[5] Der französische Philosoph Henry Corbin schlug 1972 die Unterscheidung zwischen imaginary (persönliche Fantasie oder Vorstellung) und imaginal (andere Bewusstseinsebene) vor (S. 220).
Quelle: JUFOF Nr. 269, 5/2023: 149 ff
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