Martin Shough mit Wim van Utrecht: Redemption of the Damned

Vol. 1 – Aerial Phenomena
A Centennial Re-evaluation of Charles Fort’s ›Book of the Damned‹

Es gibt Bücher, die jeder UFO-Forscher kennen muss, weil sie ein Thema so erschöpfend behandeln, dass kein weiteres Wort mehr nötig ist. Zu diesen Büchern gehört Redemption of the Damned: Vol. 1 Aerial Phenomena von Martin Shough (unter Mithilfe von Wim van Utrecht).

Martin Shough ist als naturwissenschaftlich orientierter UFO-Forscher bekannt, der u. a. von NARCAP herausgegebenen Bücher über Radarfälle und mit Chris Aubeck ein Buch über UFOs vor 1947 geschrieben hat; Wim van Utrecht ist der Kopf hinter CAELESTIA, einer Organisation, die bizarre meteorologische Phänomene in Bezug auf UFOs untersucht. Beide bringen ihre geballte Kompetenz ein.

Der Band – schwer wie ein Ziegelstein, groß wie ein Telefonbuch – untersucht sämtliche »UFO«-Sichtungen in Charles Forts ersten Sachbuch, The Book of the Damned (1919). Nun sind über das Buch der Verdammten und über Charles Fort jede Menge Mythen unterwegs, eine davon besagt, dass man seine Fälle getrost als UFO-Sichtungen betrachten kann und dass Fort als Quelle auch zuverlässig sei. Beides stimmt jedoch nur mit Einschränkungen (und Fort wollte erst gar nicht naturwissenschaftlich zuverlässig sein). Auf den ganzen Themenkomplex der Gebrauchs der Fort’schen »Daten« zur Unterstützung von Behauptungen der Grenzwissenschaften werde ich später noch eingehen, hier sei vorab bereits gesagt, dass praktisch keines von den UFOs, die Fort anführt, der Untersuchung durch Shough und van Utrecht standhält, und dass Fort seine Informationen absichtlich so selektiert und präsentiert, dass konventionelle Deutungen schwer möglich scheinen. Das verblüfft Fortianer – wohl im Gegensatz auch zu den beiden Autoren – eigentlich nicht, weil sie wissen, dass Forts Bücher Spiele sind, keine Faktendarstellungen. Es wird aber manchen Ufologen überraschen, der sich auf Fort als Quelle verlassen hat. Redemption zeigt auch, dass viele der Sichtungen mit herkömmlichem Wissen erklärt oder zumindest gedeutet werden können: Ob es sich um schwarzen Wolkentorpedos handelt, kleine Scheiben, die vor der Sonne gesichtet wurden, oder um leuchtende Kugeln in der Luft, stets haben Shough und van Utrecht konventionelle astronomische, meteorologische und luftfahrttechnische Erklärungen parat, die das Phänomen besser erklären als die Annahme von etwas »Unerklärlichem« (auch wenn man diesen Erklärungen nicht immer zustimmen muss, so liegen fast alle sehr nahe).

Nur wenige Sichtungen – acht von 82 – bleiben nach wie vor möglicherweise unerklärt – insbesondere ein phantastisches Phänomen vom 24. und 25. Februar 1893 in der Straße von Korea, als eine Flotte großer Lichter am Himmel ein britisches Kriegsschiff verfolgte. (1)

In dem Band, der die von Fort aufgespürten Sichtungen streng naturwissenschaftlich analysiert (und der dabei vielleicht das ein oder andere mal besser zusätzlich auf geisteswissenschaftliche Aspekte eingegangen wäre) erfährt der Leser nicht nur etwas über UFO-Stimuli (viele davon sehr exotisch), sondern auch über Astronomie- und Luftfahrtgeschichte. Wer hätte z. B. gewusst, dass seit dem Ende des 18. Jahrhunderts über Großstädten (zum ersten Mal übrigens in Mannheim!) von innen beleuchtete Heißluftballone gestartet wurden, von denen man dann Feuerwerk abbrannte? Die entsprechenden zeitgenössischen Zeichnungen sehen wie Augenzeugenskizzen von heutigen UFOs aus (eine befindet sich auf dem Umschlag)!

Leser des jufof wird vermutlich interessieren, welche Meldungen aus Deutschland in dem Band erfasst sind. Es sind insgesamt acht Fälle aus Deutschland und deutschsprachigem Ausland.

1. April 1826: das »gerollte Blech« über Saarbrücken (vgl. jufof 224);

8. August 1849: »Tausende und Abertausende grellleuchtende weiße Objekte wie Schneeflocken an einem wolkenlosen Tag« über Gais, Schweiz, beobachtet (Deutung: Samen, die im Wind treiben);

4. Oktober 1864: der Astronom Heis beobachtet einen »dunklen Meteor« über Westfalen (Deutung: Vogel oder Ballon);

27. September 1870: Lord Brabazon beobachtet in Berlin »ein Leuchtobjekt mit einem Schweif wie ein Komet«, das länger als ein Meteor im Blickfeld des Teleskops verweilt (Deutung: Eine Lichtsäule, wo sich das Licht der untergegangenen Sonne an Eiskristallen bricht);

22. März 1880: eine Stunde vor Sonnenaufgang werden bei Kattenau, Ostpreußen (heute: Kaliningrad Oblast) »Riesenmengen von Leuchtkörpern« gesichtet, die sich über den Horizont heben und sich dann waagrecht von Ost nach West bewegen. (Deutung: ein Meteorschwarm);

4. Februar 1898: der Postdirector Ziegler von Greifswald beobachtet einen Körper von 1,80 m Durchmesser, der die Sonnenscheibe überquert (Deutung: Ballon, zudem gibt Fort die Maße falsch an);

8. Juli 1898: N. W. Thomas sichtet bei Kiel ein Stück rotschimmerndes Licht, »so breit wie ein Regenboden«, neben der Sonne (Deutung: ein rarer roter Regenbogen);

11. Mai 1911: der Astronom Dr. Max Wolf beobachtet am Teleskop Königsstuhl über Heidelberg, wie ein Meteorschweif einen Stern bedeckt, allerdings 3,5 Sekunden lang, und länger als die Meteorerscheinung gedauert hat (Deutung: eine Wolke? Rauch?).

Fazit: Jede der 82 Sichtungen aus dem Book of the Damned wird mindestens eine Seite lang, oft ganze Dutzende Seiten lang, ausführlich besprochen. Redemption ist somit nicht nur ein Buch über seltene UFO-Stimuli, sondern auch über atmosphärische Physik, Geschichte der Astronomie, Saatendrift über die Alpen – und vieles mehr. Jeder Mensch, der sich mit UFO-Meldungen befasst, gerade auch aus historischen Quellen, wird von der Masse an Fakten in dem Buch profitieren – es sind immerhin 400 Din-A-4-Seiten, randvoll mit Text, Skizzen, Tabellen, Fotos.

Es ist allerdings kein fortianisches Buch. Wer mehr über Fort erfahren will oder seine Philosophie, den interessiert im Einzelfall nicht, wie Fort die Daten manipuliert. Es reicht zu wissen, dass er das tut (denn das ist ja der Kern seiner Weltanschauung, dass es keine Fakten gibt und jedes Weltbild auf Manipulation beruht). Für Fortianer ist die Erklärung einer Beobachtung zweitrangig hinter der Erkenntnis, dass Wahrnehmung mehr ist als Physik, dass jedes Erleben ein komplexes Interagieren von Beobachtung, vorhandenem Wissen, erworbenem Wissen und Deutung durch die Zuhörer ist. Wenn das Buch jene zum Schweigen bringt, die Fort misshandeln, indem sie ihn zum UFO-Forscher oder Prä-Astronautiker machen, hat es jedoch eine zusätzliche wichtige Aufgabe erfüllt. Ich gebe dem Buch, trotz mancher Einschränkung, fünf von fünf Sternen.

Anmerkung
(1) Die anderen nicht gänzlich erklärbaren Berichte sind: 6. Mai 1808, Linkoping, Schweden, »Blasen« ziehen vor der Sonnenscheibe« vorbei; 14. Juli 1869, Dharamsala, Indien, Lichter in der Atmosphäre nach Meteoritenfall; 22. März 1870, über dem Atlantik, von der Bark Lady of the Lake aus wird ein kaulquappenähnliches Himmelsobjekt gesehen; 12. April 1879, Jersey City, USA, sehr ungewöhnliches, nordlichtartiges Phänomen; 5. November 1883, San Fernando, Chile, »Feuerkugel« wird nach Sonnenuntergang beobachtet; 28. Februar 1904, Atlantik, USS Supply, drei Lichtkörper durchbrechen die die Wolkendecke und schießen nach oben davon; 2. Juli 1907, Burlington, Vermont, USA, ein »Riesentorpedo«, evtl. ein meteorologisches Phänomen.
Ulrich Magin  ∗ ∗ ∗ ∗ ∗

412 Seiten, broschiert, 250 Illustrationen, ISBN: 978-1-949501-07-0, 39,95 US-$

Anomalist Books
www.anomalistbooks.com
San Antonio, Texas, 2019

Quelle: JUFOF Nr. 244, 4/2019: 123 ff
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