1947: When UFOs Came From Mars
Maurizio Verga ist ein bekannter italienischer UFO-Forscher, der gerade über die Frühzeit des modernen Phänomens intensiv geforscht und veröffentlicht hat. Im vorliegenden, fast 400 Seiten langen Band hat er 23.000 (!) amerikanische Presseartikel nur aus den ersten drei Wochen nach der Initial-UFO-Sichtung von Kenneth Arnold am 24. Juni 1947 ausgewertet und stellt mit zahllosen Details dar, wie das entstand, was wir heute über fliegende Untertassen zu wissen glauben, unter anderem die ETH – es gab Berichte über kleine grüne Männchen vom Mars, Landungen mit kreisförmig versengtem Gras, telepathische Kontakte, Funkkontakte und Entführungen – all das aber nur als spielerische und eindeutige Scherze der Journalisten und lange bevor das auch im Ernst gemeldet wurde. Man redete von Atlantis, Ezechiel und vielem anderen, für die Kontinuität zu früheren Vorstellungen sorgten Mitglieder der Fortean Society, diverse Okkultisten und Ray Palmer, die sich der Presse als Experten anboten. Das klingt sensationell, und es ist sensationell.
Stellvertretend für die gesamte Entwicklung mag Arnold selbst stehen: »Sehr schnell nahm er die extraterrestrische Hypothese an. Das geistige und kulturelle Material, das dafür nötig war, stand zur Verfügung, wie für Arnold so auch für die übrigen Vereinigten Staaten.« (S. 9)
Den Hintergrund der Explosion der Sichtungsberichte und der Meldungen über Männchen vom Mars bildeten die Bücher von Charles Fort, die Fortean Society, die okkulten Traditionen der Theosophen, die frühen Science-Fiction-Geschichten und vor allem das sogenannte Shaver-Geheimnis. Das führte zu einer »unfassbar raschen Verbreitung des Phänomens der fliegenden Untertassen« in den Medien. (S. 24) In Ray Palmers »Amazing Stories« erschien schließlich just zwei Tage vor Arnolds Sichtung ein Artikel über Rauschiffe, die die Erde besuchen (basierend auf Fort). Untertassen zierten da schon seit Jahren die Cover des Heftes.
Verga weist darauf hin, dass es in den USA längst einfach erhältliche Vorbilder für eine sensationelle Interpretation der gesehen Objekte gab – die Airships, bei denen das gesamte moderne Phänomen bereits aufscheint: rund ein halbes Dutzend Abstürze – einmal mit Riesen als Besatzung, die auf ihrer Tunika ein Schinkensandwich als Wappen tragen –, eindeutig waren diese »nahen Begegnungen« Scherze und wurden von Zeitgenossen auch so verstanden. (S. 39) Ähnlich agierten die Zeitungen auch im Sommer 1947. Dazu kommt, dass Arnolds Sichtung mehr oder weniger ein willkürlicher Startpunkt ist. Menschen sahen schon vor 1947 seltsame Dinge am Himmel und deuteten sie als Raumschiffe. Ein interessanter Bericht vom 22. September 1946 spricht bereits von einer Untertasse, die auf Entfernung einen Automotor ausschaltet (S. 63) – ein auch später noch gern erzähltes Motiv (heute nicht mehr, oder?), das auf legendäre, ja biblische Vorlagen zurückgeht, wo irdische Fahrzeuge stehen bleiben, wenn sie im Angesicht des Übernatürlichen sind – auch ganz ohne Verbrennungsmotor.
Diese Zuschreibung zu Außerirdischen war jedoch von Anfang an oft ein bloßer Scherz, keine ernsthaft geäußerte Möglichkeit: Als im kanadischen Winnipeg im April 1947 eine Elektrosäge explodierte und ein Metallsplitter ein nahes Hausdach durchschlug, raunten die Zeitungen sofort von einer »Invasion vom Mars«. (S. 86) Das war drei Monate vor Arnold! Verga macht deutlich, dass diese Deutung eine sprachliche Floskel war und kaum weniger meinte als »ganz ungewöhnlich«, »noch nie zuvor gesehen«.
Um darzustellen, wie die außerirdische These zwar konkurrierend zu anderen Erklärungen (Hysterie, Geheimwaffe, Naturphänomen) gehandelt, zunächst aber nicht ernst genommen wurde, analysiert Verga die wichtigsten Akteure der ersten beiden Wochen, darunter die Kontaktler (entweder theosophischer oder Forteanischer Prägung) Ole Sneide, Meade Layne, Robert Lee Farnsworth und Dewitt Miller. Arnold selbst meldete ja in dieser Zeit alleine 6 oder 7 Sichtungen (S. 94), und »little men from Mars« werden bereits am 30.Juni 1947 als Piloten der Untertassen vermutet – noch vor der ersten »echten« CE III. (S. 115) Arnold war für Ray Palmer tätig und Mitglied der Fortean Society – manchmal sieht es so aus, als sei damals nichts aus Zufall geschehen. Übrigens: Die Deutung der Ezechiel-Vision als »fliegende Untertasse« erfolgt ebenfalls bereits im Juni 1947, lange bevor Däniken sein erstes Buch bei anderen abgeschrieben hatte. (S. 95, 312)
Die »Ancient Astronauts«-These vertrat denn auch bereits der erste Kontaktler Ole Sneide, dessen Verlautbarungen ab dem 3. Juli landesweit abgedruckt wurden. Mead Layne wusste bereits – und die Presse übernahm seine Erklärungen –, dass fliegende Untertassen aus einer anderen Dimension stammten und die US-Behörden diese Wahrheit kannten, aber verschwiegen. (S. 159f.) Der Name Charles Fort fiel in hunderten von Presseartikeln, weil sich einige Mitglieder der Fortean Society als Ansprechpartner anboten (S. 162, 319), die Fortean Society lehnte UFOs – ganz im Sinne Forts – allerdings als Hirngespinste ab und wies darauf hin, dass selbst Zeugen derselben Erscheinungen die unterschiedlichsten Aussagen machten. (S. 150) Ebenso findet sich durch damalige »Experten« eine eindeutige und nahtlose Kontinuität zwischen Shaver-Geheimnis und UFO-Rätsel, auch auf zeitgenössische Comics wie Buck Rogers und Flash Gordon wird oft genug Bezug genommen. Die kulturellen Rahmenbedingungen standen gut für Arnold!
Was wurde in den ersten drei Wochen nicht bereits – entweder als Satire oder echtes Ereignis – verbreitet! Es gab Berichte über Funkkontakte (S. 189), sofort auch die These, Aliens hätten die archäologischen Wunderbauten geschaffen, Anspielungen auf Regierungsverschwörungen (S. 264, 11. Juli 1947), Anrufe von »MIBs« (S. 325), Gerede über den Antigravitationsantrieb der Untertassen (S. 211, 324), dazu – Roswell ungeachtet – Dutzende von Abstürzen! Es handelte sich ohne Ausnahme um Scherze mit selbstgebastelten Modellen (S. 275 f.), und es ist erstaunlich, wie wenig es brauchte, damit eine »abgestürzte Untertasse« landesweit Schlagzeilen machte – einmal handelte es sich bloß um einen Pappteller mit aufgemalten exotischen Schriftzeichen. Ein aus Elektroschrott zusammengebasteltes Mini-UFO wurde sogar vom FBI untersucht. (S. 283) Der Radiomoderator Carl Goerch erzählte launig eine Mär von seinem Kontakt mit Aliens, die in weiten Teilen klang wie spätere »echte« CE III, meinte dann aber, er habe das Nummernschild am UFO lesen können – und doch wurde der leicht durchschaubar Scherz ernst genommen und führte zu einem wahren Medienskandal. (S. 285 ff.)
Viele Fälle wurden rasch konventionell erklärt (z.B. als Suchscheinwerfer, S. 275, oder Ballon, S. 277), und eine der vorherrschenden Interpretationsmuster für die erste UFO-Welle war die skeptische, doch neben den Berichten über Untertassen in weiter Ferne gab es auch jede Menge Meldungen über Kontakte mit Außerirdischen oder Landungen von Untertassen. Dutzend CE IIIs erschienen in den ersten Tagen (ich zähle etwa 25 Einzelmeldungen), von denen man weder je in »The Humanoids« oder bei Keel oder Vallee liest – weil es durch und durch eindeutige Scherze sind, zum, Beispiel ein 2,4 m hoher grüner Alien am 8. Juli (S. 203) –, den der Journalist als Schwindel zugeben musste, und den damals über 100 Zeitungen auf der Titelseite brachten. (S. 205) Weitere scherzhafte Begegnungen der dritten Art mit »kleinen grünen Männchen« (S. 251) wurden am 10. Juli (S. 255) und am 14. Juli (S. 261) gemeldet. Einmal schauten kleine Männchen aus einem Wodka-Glas. (S. 337) Bei einer Landung, bei der sich ein kleiner Plausch entspinnt, verraten die Außerirdischen, dass Ihre Lieblingseiscremesorte Erdbeere ist. (S. 341) Erinnert das nicht an wilde Thesen aus den 1990ern?
Neben Alienbegegnungen mit Augenzwinkern wurden erfundene Landungen mit Landespuren gemeldet (S. 317, 336: »verbrannte Erde«), allerdings auch als wahre Ereignisse geschilderte und nicht als Scherz durchschaubare CE III (S. 327, 328, 329 ff.) Sowohl bei den Abstürzen wie bei den Landeberichten fällt auf, dass die Untertassen stets und ausnahmslos als klein geschildert wurden – keine nahe Begegnung, ob im Ernst oder im Scherz gemeldet, kennt ein UFO, das größer wäre als 2,5 m im Durchmesser! (S. 335, 336)
Seltsamerweise schlussfolgert Verga, es habe 1947 »few cases with little men« gegeben, also nur wenige Humanoidenfälle (S. 345) im Vergleich zur Airship-Welle. Die aber dauerte ja mehr als ein Jahr, und Verga nimmt hier nur kurze drei Wochen unter die Lupe, in denen rund 25 Fälle berichtet wurden, alle längst vergessen, als die ersten UFO-Bücher erschienen – ich finde das eher viel.
Verga meistert eine schiere Masse an Material, die er äußerst detailliert erschließt – so detailreich, dass ich nach dem Lesen mehrere Dutzend Seiten Notizen hatte und diese Besprechung nur unzureichend wiedergeben kann, was ich aus der Lektüre erfuhr. Vergas Werk ist ein extrem ausführliches und präzises Buch über den sehr kurzen Zeitraum, der das Phänomen seither bestimmt. Die Lektüre ist absolut faszinierend – hier wird viel Neues geboten, was man so noch nie gelesen hat.
Das Buch schließt mit einem leider kaum verwendbaren Register (nach Vornamen sortiert) und einer ausführlichen »Timeline« der dargestellten drei Wochen.
Das Buch ist in zwei Varianten erhältlich: als Paperback und als E-Book, beides auch über deutsche Versender.
Ulrich Magin ∗ ∗ ∗ ∗ ∗
406 Seiten, broschiert, ISBN 979-8-605-85567-5, 26,75 €
Eigenverlag über Amazon, 2020
Quelle: JUFOF Nr. 248, 2/2020: 59 ff
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