Michael Schetsche und Andreas Anton: Die Gesellschaft der Außerirdischen

Einführung in die Exosoziologie

Mit Die Gesellschaft der Außerirdischen – Einführung in die Exosoziologie legen die beiden Soziologen des IGPP, Michael Schetsche und GEP-Mitglied Andreas Anton den ersten umfassenden Versuch vor, eine mögliche Konfrontation mit einer außerirdischen Zivilisation sozialwissenschaftlich zu etablieren und zum Forschungsgegenstand der Soziologie zu machen. Dafür greifen sie den bereits Ende der 1960-er bzw. zu Beginn der 1970-er Jahre geprägten Begriff der Exosoziologie auf und möchten diesen als künftigen Begriff für wissenschaftliche Forschung etablieren.

Der Umstand, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr herauskristallisierte, dass das Weltall offensichtlich über potenziell lebensfreundliche Habitate in großer Zahl verfügt und Bemühungen um die Kontaktaufnahme mit außerirdischen Zivilisationen sowohl passiv (durch das Horchen nach Radiosignalen) als auch aktiv durch das gezielte Aussenden von Signalen für hypothetische außerirdische Empfänger mehr und mehr forciert werden, sehen sie als Legitimation, sich mit Fragen rund um mögliche Kontaktszenarien und die damit einhergehenden Folgen für die Weltbevölkerung auseinanderzusetzen. Exosoziologie verstehen die Autoren hierbei als einen Teilbereich der Futurologie, die versucht, zukünftige Entwicklungen explorativ vorher zusagen. Eine weitere Verortung findet sich in der Erforschung des Fremden. Hier wird das von Schetsche bereits seit gut fünfzehn Jahren vertretene Konzept des maximal Fremden aufgegriffen.

Bezüglich des Begriffs und seiner Abgrenzung zum Radikal Fremden nach Waldenfels (1) bin ich mir in seinem analytischen Wert und seiner Anwendbarkeit auf Außerirdische tatsächlich seit längerem nicht ganz sicher. Hier bewegen wir uns in einem Bereich hoher Abstrahierung und ein Nachdenken über dieses Problem kann schon zu Kopfzerbrechen führen. Entgegen erster Überlegungen habe ich mich aber entschieden, diesen Punkt hier nicht weiter zu diskutieren (und behalte mir vor, das vielleicht an anderer Stelle nochmals nachzuholen).

Im Anschluss an die Verortung und Begriffsbestimmung folgt ein geschichtlicher Überblick über Thesen und Spekulationen über Außerirdische von der Antike bis in die Gegenwart mit kurzen Rezeptionen der Ideen, die die Science-Fiction hierzu geliefert hat. Die Autoren machen hier deutlich, dass alle Fantasien über Denken, Fühlen und Handeln etwaige Außerirdischer immer ein Blick in den menschlichen Spiegel war und ist.

Da sich dieses Buch vor allem auch an soziologische Fachkollegen richtet, folgt eine Übersicht über den naturwissenschaftlichen Stand in der Frage möglichen außer irdischen Lebens. Anhand der bekannten Drake-Gleichung, mit der (hypothetisch) die Anzahl der kommunikationsfähigen Zivilisationen in der Galaxie berechnet werden kann, werden die einzelnen Variablen der Gleichung abgearbeitet und deutlich unter strichen, dass das spekulative Moment hierbei mit jeder weiteren Variable ansteigt.

Etwas weniger optimistisch als Schetsche und Anton beurteile ich die prinzipielle Möglichkeit der Panspermie, also die Möglichkeit, dass außerirdisches Leben über Meteoriten auf die Erde gelangen könnte. Zwar führen die Autoren hier beeindruckende Beispiele extremophilen Lebens an und schließen hierbei nicht aus, dass derartige Lebensformen selbst die extremen Bedingungen eines Einschlags auf der Erde überstehen könnten (S. 56 f.), doch zeigen meines Erachtens Experimente, dass diese Möglichkeit sehr unwahrscheinlich ist. Bei derartigen Experimenten unter Realbedingungen erlebten einige Organismen zwar die extremen Weltraumbedingungen, den Einschlag auf der Erde aber überstand keine einzige Probe. (2)

In den drei nächsten Kapiteln werden bisherige Projekte zur wissenschaftlichen Suche nach Außerirdischen dargestellt und diskutiert. SETI versucht Radiobotschaften Außerirdischer mittels Radioteleskope aufzufangen. Diese Suchstrategie ist nicht nur die historisch älteste, sondern auch jene mit den größten Erfahrungen durch große Summen von öffentlichen und privaten Geldgebern,
die großzügig entsprechende Unternehmungen finanzierten und finanzieren.

Schetsche und Anton weisen (zu Recht) darauf hin, dass SETI in seinen Vorannahmen zutiefst anthropozentrisch geprägt ist und im Grunde davon ausgeht, dass am anderen Ende der Leitung uns sehr ähnliche Wesen warten. Ob eine solche Erwartung realistisch ist, bleibt hierbei fraglich. Ebenso zweifelhaft ist die Frage, ob wir überhaupt in der Lage wären, eine außerirdische Botschaft zu entschlüsseln.

SETA, der Suche nach außerirdischen Artefakten, die zufällig oder absichtlich in unserem Sonnensystem stationiert sein könnten, wird als eine weitere Suchstrategie vorgestellt, die wesentlich freier von allzu menschlichen Vorannahmen ist, jedoch bislang nur über theoretische Konzepte verfügt, nicht aber über praktische Erfahrungen. Dieser Umstand hängt offensichtlich auch mit einer zu kleinen Lobby zusammen, die hinter dieser Strategie steckt.

METI (Messaging To Extraterrestrial Intelligence) ist die dritte vorgestellte Strategie. Hier geht es um das aktive Senden von Botschaften an potenzielle außerirdische Empfänger. Was die Autoren hier vor allem kritisieren, ist der Umstand, dass die wenigen Personen hinter derartigen Aktionen entscheiden, wie sie die gesamte Menschheit nach außen hin repräsentieren und darstellen. Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als dass die Folgen, die eine empfangene Botschaft bzw. die Reaktion hierauf haben kann, kaum abzusehen sind.

Bis zu diesem Punkt gibt es für den in der Thematik informierten Leser nur wenige neue Informationen und Überlegungen. Allerdings sind diese dafür sehr umfassend und gut lesbar dargestellt.

Wirklich spannend wird das Buch in den Kapiteln 7 und 8. Anhand der Methode der Szenarioanalyse werden hier verschiedene denkbare Kontaktszenarien durchgespielt und ihre Folgen für die Menschheit abgeschätzt. Die plausible These von Schetsche und Anton ist hierbei, dass die Auswirkungen auf die Menschheit mit räumlicher und zeitlicher Nähe des Kontakts (sowohl in Hinblick auf ein Radiosignal, ein Artefakt oder gar einen Direktkontakt) zunehmen und im Extremfall geradezu gravierende Auswirkungen haben kann. Weiter prognostizieren sie, dass eine Radiobotschaft von einem weit entfernten Stern, deren Inhalt sich nicht dechiffrieren lässt, für die Allgemeinbevölkerung keine allzu großen Auswirkungen hätte.

Wenngleich hier nur grundsätzliche Szenarien durchgespielt wurden, die sich in entscheidenden Details sicherlich noch weiter ausdifferenzieren ließen, zeigen diese beiden Kapitel interessante Perspektiven auf. Weitere Feinanalysen mittels dieser Methode erscheinen hier sehr reizvoll.

Etwas knapp wurden meiner Meinung nach historische Zivilisationskontakte behandelt. Die Autoren verweisen zwar auf Bitterlis sehr sinnvolle Unterteilung von Zivilisationskontakten In Kulturberührung, Kulturkontakt und Kulturkonfrontation (obgleich diese Kategorien sehr fließend im Übergang sind), doch kommt es zu keiner tiefergehenden Analyse. Dabei könnte eine solche Analyse anhand konkreter Fälle meiner Ansicht nach auch in Bezug auf die Fragestellung dieses Buchs zu interessanten Ergebnissen führen. Um einige Beispiele herauszugreifen, zeigen sich zum Beispiel oftmals zwar generelle Ähnlichkeiten im Umgang mit Kulturkonfrontationen in verschiedenen Kulturkreisen, die in ihren Ausprägungen aber doch sehr unterschiedlich ausfallen (etwa bei den Melanesischen Cargokulten und der Geistertanzbewegung Nordamerikas). Auch spannend unter Beachtung dieses Blickwinkels könnte die Frage nach einer Post-Kontakt-Geschichtsschreibung sein. Wie werden die Folgen eines Kontaktszenarios auf die Menschheit im Nachhinein bewertet? Einige Fälle historischer Zivilisationskontakte könnten darauf hinweisen, dass es zu einer Verklärung der Ereignisse kommt. So konnte der Altamerikanist Werner Stenzel im Fall der Eroberung Mexikos anhand einer Analyse indianischer Quellen sehr schön aufzeigen, dass die populär oft vertretene Behauptung, die indigene Bevölkerung habe Hernando Cortés für den wiedergekehrten Gott Quetzalcoatl gehalten, was zu einer politischen Lähmung der Azteken führte, die die spanische Eroberung mit möglich machte, mit großer Wahrscheinlichkeit eine nachträgliche Verklärung der Ereignisse ist. Diese Verklärung ist, so Stenzels These, der Versuch der Azteken und weiterer Völker Mexikos, sich selbst zu erklären, wie ihre riesigen Reiche einer verhältnismäßig kleinen Schar von Fremden unterlegen sein konnten. (3) Diesen verklärenden Aspekt der eigenen Kontaktgeschichte kennen wir auch von einigen Cargokulten Melanesiens. Bei den Cargokulten handelt es sich um spezifisch melanesische Kultbewegungen im Zuge des Kulturkontakts und der Kulturkonfrontation mit den Europäern, Amerikanern und Japanern. Die vielfältigen Kultbewegungen waren oft synkretistischer Natur (hier verschmolzen die religiösen Einflüsse der Fremden mit den angestammten Glaubensvorstellungen) als auch millenaristisch geprägt (die Erwartung an eine kommende Heilszeit). Der Begriff des Cargo steht hierbei für Güter. Bei den Cargokulten waren die Heilserwartungen der krisenhaften Kultbewegungen an das Eintreffen von materiellen Gütern gekoppelt. (4)

Obwohl viele der Kultbewegungen nach einiger Zeit zerbrachen, entweder durch Zerschlagung und Inhaftierung der Kultführer durch die Kolonialregierungen oder von innen heraus, weil die versprochenen Heilserwartungen nicht eingetreten sind, zeigte sich bei retrospektiven Befragungen der Bevölkerungen immer wieder, dass die Kultzeit in der Rückschau anders konstruiert wird. Ein Zeitzeuge des Filo-Kultes (1940-er Jahre) berichtete Jahre später, diese Zeit als Wunderzeit erlebt zu haben. Er habe selbst gesehen wie die erwarteten Güter vom Himmel gefallen seien, lediglich durch das Eingreifen der Regierung hätten sich die Prophezeiungen aber nicht vollends erfüllt. (5) Ebenso wurde der Wailala-Wahn von der Bevölkerung später als magische Zeit beschrieben, obgleich die versprochenen Prophezeiungen niemals eintrafen. (6) Zwanzig Jahre nach der Fieberwind-Bewegung wussten die Zeitzeugen der Kultbewegung sogar zu berichten, damals seien die Ahnen tatsächlich wieder im Diesseits erschienen. (7)

Weitere Beispiele ließen sich benennen, doch sollen diese zur Illustration reichen. Inwiefern hier kulturell und in welchem Kontext explorative Übertragungen auf eine Post-Kontaktgeschichtsschreibung möglich sind, müsste natürlich analysiert werden. Ich sehe hier durchaus noch interessantes Material für weiterführende Schlussfolgerungen und Fragestellungen für eine Exosoziologie.

Im neunten Kapitel werden die Konsequenzen aus der Szenarioanalyse mit dem abgeglichen, was wir an politischer Vorsorge bislang haben. Wer hätte eigentlich Anspruch auf ein im Sonnensystem entdecktes Artefakt? Wer informiert wann die Bevölkerung über einen Erstkontakt? Es wird schnell klar, dass wir eigentlich keinerlei ernsthafte Vorbereitung haben, sollte ein Erstkontakt eintreten. In diesen interessanten Ausführungen fehlte mir allerdings eine Analyse der Veröffentlichungsstrategie der seinerzeit angenommenen Fossilfunde in dem Marsmeoriten ALH84001. Verkündet hatte die (vermeintliche) Entdeckung seinerzeit die NASA unter Mitwirken des US-Präsidenten Bill Clinton auf einer Pressekonferenz. Wenngleich dieser Fund noch weit hinter der Entdeckung einer fremden Intelligenz zurücksteht, so lassen sich hier analytisch sicher einige Aspekte herausgreifen und extrapolieren: Veröffentlichungspolitik, Reaktion der Medien, der Bevölkerung und der Scientific Community hierauf (ab wann wird ein empfangenes Signal oder ein im Sonnensystem vermutetes Objekt überhaupt wissenschaftlich akzeptiert?) und so weiter.

Mit dem Versuch einer »Proto-Soziologie außerirdischer Zivilisationen« in Kapitel 10 wird der (natürlich spekulative) Versuch unternommen, über die Natur potenziell außerirdischer Zivilisationen nachzudenken. Die Möglichkeiten reichen hier von biologischen Entitäten bis hin zu faszinierenden Vorstellungen einer post-biologischen Intelligenz in Form einer Künstlichen Intelligenz.

Paläo-SETI, UFOs und UFO-Entführungen sind das Thema des elften Kapitels. Hier stellen die Autoren die drei Forschungsfelder kurz vor, zeigen die öffentliche Wahrnehmung und Rezeption der heterodoxen Laienforschungsbemühungen (sowie deren oft eklatante Schwächen) auf, betonen aber, und dies liest sich sehr erfrischend, dass diese Themen nicht pauschal abgelehnt werden. Neben der Kritik an der oft laienhaften Herangehensweise an diese Themen wird auch das Potenzial benannt, ebenso wie die vielleicht vorschnellen Abwehrmechanismen der Medien und der wissenschaftlichen Gemeinschaft betont.

Traditionell schließt das Buch mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick.

Die Autoren Michael Schetsche (rechts) und Andreas Anton (links)

»Die Gesellschaft der Außerirdischen« liest sich sehr angenehm; trotz der oft schwierigen Fragestellungen vermeiden Schetsche und Anton es, eine allzu abstrahierte Sprache zu verwenden (in der Soziologie ist das nicht selbstverständlich) und ermöglichen so auch Nichtfachleuten einen Zugang zu dem Text, ohne, dass das Buch damit inhaltlich vereinfacht wirkt. Viele Überlegungen sind sehr interessant und gut durchdacht, verdienen aber sicherlich tiefergehende Diskussionen und in den Details weitere Präzisierungen.

Auch wenn UFOs nicht das Kernthema sind und die Gleichsetzung Außerirdische und UFOs eine konfliktbehaftete Assoziation darstellt, kann ich das Buch allen Interessierten sehr als Herz legen. Den Autoren kann man indes nur wünschen, dass es auch in der soziologischen Fachwelt Diskussionen anzuregen vermag.
André Kramer  ∗ ∗ ∗ ∗ ∗

(1) vgl. über das radikal Fremde Waldenfels 2016, S. 77. f.
(2) vgl. Westall; Noetzel 2010, S. 24 ff.
(3) vgl. Stenzel 1980
(4) vgl. Hirschberg 1965, S. 66 f.
(5) vgl. Worsley 1973, S. 159 f.
(6) vgl. Steinbauer 1971, S. 36
(7) vgl. a. a. O., S. 68

Quellen
Hirschberg, Walter (Hrsg.): Wörterbuch der Völkerkunde. Stuttgart: Kröner 1965
Steinbauer, Friedrich: Melanesische Cargo-Kulte. Neureligiöse Heilsbewegungen in der Südsee. München: Delp 1971
Stenzel, Werner: Quetzalcoatl von Tula. Die Mythogenese einer postkortesischen Legende. In: Zeitschrift für Lateinamerika Nr. 18, 1980.
Waldenfels, Bernhard: Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden 1. 7. Auflage. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2016
Westall, Frances; Noetzel, Rosade la Torre: Meteoriten – Steine mit blinden Passagieren? In: Spektrum der Wissenschaft Extra: Schwerelos. Europa forscht im Weltraum 2010
Worsley, Peter: Die Posaune wird erschallen. ›Cargo‹-Kulte in Melanesien. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1973

308 Seiten, broschiert, illustriert, ISBN 978-3-658-21864-5, 49,99 € (eBook 39,99 €)

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Wiesbaden, 2019

Quelle: JUFOF Nr. 246, 6/2019: 186 ff
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