Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten
Ein Buch über das interstellare Objekt 1I/`Oumuamua
Der Legende nach wird Galileo Galilei der berühmte Satz „Und sie bewegt sich doch!“ zugeschrieben. Avi Loeb, Professor für Astrophysik an der Harvard University, sagt „Und es wich doch ab!“
Loebs Werk macht an vielen Stellen deutlich, dass sich die Geschichte wiederholt: Wenige gegen alle. Die Mehrheit seiner Berufskollegen wollen das Offensichtliche nicht zulassen, die vorliegenden Fakten nicht ihrem logischen Schluss zuführen.
Die Menschheit machte einen Quantensprung bei der Erkenntnis, dass die Erde nicht im Mittelpunkt der Welt steht. Nun zählt Loeb auf, welche Vorzüge die Menschheit von der Erkenntnis hätte, dass wir nicht die ersten Kreaturen in unserer Galaxis sind, die technisches Gerät in die Tiefen des Weltalls schicken konnten. Nicht weniger als der Untergang der Menschheit könnte verhindert werden, wenn wir erkennen würden, dass selbst uns technisch hoch überlegene Zivilisationen untergegangen sind; nur wenn wir Demut zeigen, können wir unserem eigenen Untergang noch entgehen.
Seine »Lichtsegel-Hypothese« lautet: Das interstellare Objekt 1I/`Oumuamua, das 2017 unser Sonnensystem durchquert hat, war kein natürliches Objekt sondern ein (wahrscheinlich inzwischen nicht mehr aktives) Lichtsegel, das vor sehr langer Zeit von einer (inzwischen untergegangenen) Zivilisation erbaut wurde.
Einige seiner Argumente sind im Folgenden zusammengefasst:
- `Oumuamua ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 91% scheibenförmig und nicht zigarrenförmig (wie in künstlerischen Abbildungen meist dargestellt).
- `Oumuamua hatte während der Beobachtungszeit stets eine gleichbleibende Drehgeschwindigkeit, obwohl Berechnungen zufolge eigentlich Ausgasungen die beobachteten Abweichungen von der Flugbahn hätten erklären sollen, welche aber wiederum die Drehgeschwindigkeit hätten beeinflussen müssen.
- Die als Erklärung herangezogenen Ausgasungen wurden von keinem einzigen Teleskop beobachtet, obwohl mindestens eines dieser Teleskope technisch perfekt dafür ausgelegt ist, sogar geringe Ausgasungen zu detektieren und diese eigentlich hätte anzeigen müssen.
- Die für die Abweichung von der berechneten Flugbahn erforderliche Kraft nahm in etwa mit dem Quadrat der Entfernung von der Sonne ab. Ausgasungen könnten `Oumuamua nicht in Form dieses gleichförmigen Potenzgesetzes antreiben, der Druck des Sonnenwinds auf ein Lichtsegel jedoch schon.
- `Oumuamuas Geschwindigkeit befand sich vor der Reise in unser Sonnensystem exakt in lokaler Ruhe bezogen auf den sog. »Geschwindigkeits-Positionsraum«. Die Wahrscheinlichkeit für diese Geschwindigkeit liegt bei 0,2 Prozent.
Alle beobachteten »Anomalien« lassen sich problemlos (also ohne irgendwelche Verrenkungen, die man anstellen muss, um von einem natürlichen Objekt auszugehen) erklären, wenn man die Idee zulässt, dass `Oumuamua ein Lichtsegel ist. Falls `Oumuamua doch ein natürliches Objekt sein sollte, wäre dieses so exotisch, dass es noch außergewöhnlicher wäre als die Idee eines Lichtsegels. Die Wahrscheinlichkeit für ein natürliches Objekt liegt demnach, selbst mit konservativer Rechenart, bei weniger als eins zu einer Billion.
In der ersten Hälfte des Buches beschreibt Loeb genau diese technischen Details. Ein Kapitel widmet er dem Projekt »Breakthrough Starshot«, Loeb ist Vorsitzender dessen Beratungskomitees. Diese Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, ein Lichtsegel mit einer Flugzeit von nur 20 Jahren nach Alpha Centauri zu schicken. Ein Schelm, wer nun Böses denkt. Loeb stellt jedoch glaubhaft dar, dass er mit seinem Vorstoß keine Werbung für sein Projekt machen will. Mehr noch, die Parallelen verdeutlichen umso mehr, wie begrenzt die prinzipiellen Möglichkeiten der interstellaren Raumfahrt offensichtlich sind. Sowohl die unsrige als auch außerirdische Zivilisationen haben eine identische Technologie gewählt, um Informationsträger in die Weiten des Weltalls zu schicken.
In der zweiten Hälfte des Buches beschäftigt sich Loeb mit dem philosophischen Impact, den ein Zulassen seiner Lichtsegel-Hypothese auf die Gesellschaft hätte, mit dem SETI-Projekt und mit den Möglichkeiten von Raumfahrtzivilisationen »Samen« zu streuen. Offensichtlich sind viele Naturwissenschaftler der Meinung, dass die Öffentlichkeit erst dann informiert werden sollte, wenn die gesammelten Hinweise hieb- und stichfest sind. Dieser Sichtweise widerspricht Loeb entschieden: „Damit unsere Zivilisation reifer werden kann, müssen wir uns in den Weltraum wagen und nach anderen suchen. Da draußen könnten wir entdecken, dass wir nicht die Einzigen sind, sondern dass wir auch weit davon entfernt sind, die Klügsten zu sein.“
Um andere Planeten zu »besamen«, könnte man zudem unzählige mit einfachem Leben ausgestattete Vehikel bauen, diese mit Lichtsegeln ausstatten und um einen »kurz« vor der Supernova stehenden Stern »parken«. Dann braucht man nur noch ein paar Jahrtausende warten und die Supernova würde die »Samen« mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in alle Regionen der Galaxis befördern. Einige von ihnen würden auf bewohnbaren Planeten landen und damit den Startschuss für Leben ermöglichen. Loeb traut sich also, die prinzipiell verfügbaren Möglichkeiten auszumalen, ohne die Pfade des technisch Machbaren dabei zu verlassen; Warp-Antrieb nützt niemandem, wenn er nicht technisch realisierbar ist. So lasst uns denn das erste Lichtsegelfahrzeug bauen, will das Buch dem Leser mit jeder seiner Zeilen vermitteln.
Technisch-wissenschaftlich interessierten Lesern dürfte der erste Teil des Buches wohl besser gefallen; es wäre dem Thema angemessen gewesen, hierauf einen größeren Schwerpunkt zu legen. Die Ausflüge in seine Kindheit, Karriere und Familiengeschichten machen das Buch eher langatmig, diese Art des Bücherschreibens ist im angloamerikanischen Raum ja aber nicht unüblich.
Schwierig nachzuvollziehen ist zudem seine Festlegung darauf, dass die Zivilisation der Erbauer des Lichtsegels wohl inzwischen untergegangen ist. Was spricht aber dagegen, dass die Erbauer nur noch nicht willig sind, ihre Erkenntnisse mit uns zu teilen? Wenn diese Raumfahrtzivilisation weise ist, würde sie der Menschheit hoffentlich ausreichend Zeit geben, mit neuen Technologien verantwortungsvoll umzugehen und nicht für egoistische Zwecke zu nutzen. So lasst uns denn mit Demut erkennen: „Und es wich doch ab!“
René Rübenhagen ∗ ∗ ∗ ∗ ∗
272 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, 15 s/w Abbildungen, ISBN: 978-3-421-04866-0, Preis 22,00 €
Deutsche Verlags-Anstalt
www.randomhouse.de
München, 2021
Quelle: JUFOF Nr. 256, 4/2021: 122 ff