Chris Aubeck: Alien Artifacts: The Forgotten Story of How We Came to Believe in Visitors from the Stars


Es ist immer erfreulich, wenn ein Buch erscheint, in dem ganz neues Terrain betreten wird – in die­sem Falle eine Übersicht über Texte vom Al­tertum bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, die sich mit der Möglich­keit au­ßerirdischen Lebens (und Besuchen Au­ßerir­discher) beschäftigen. Bislang kannte ich nur das sehr feine Buch „Das Jahrhundert der Mar­sianer“ von Helga Abret und Lucian Boia, das die Vorstellung von Marsleben und Marsmenschen im 19. Jahrhundert sehr präzise aufarbeitete. Chris Aubeck ist bei der Analyse historischer Fälle kein Unbe­kannter, und in diesem Buch belegt er seine Kompetenz voll und ganz.

„Alien Artifacts: The Forgotten Story of How We Came to Believe in Visitors from the Stars“ gliedert sich in sechs große Kapi­tel, dazu kommen rund 100 „Fragmente“ (Zitate aus Romanen, Offenbarungen, wis­senschaftlichen Aufsätzen), die sich mit Leben im All – hauptsächlich, nach dem da­maligen Stand der Wissenschaft, in unserem Sonnensystem – beschäftigen.

Der „Kulturelle Kontext“ liefert die philo­sophischen Überlegungen zu außerirdischem Leben seit der Antike.

„Aliens als religiöse Erfahrung“ führt an, was vom Mainstream abweichende religiöse Gruppierungen und Spiritisten zu außerirdi­schem Leben sagten. Gerade in Seancen tra­ten immer wieder Geister auch von anderen Planeten auf.

„Die Genese eines Phänomens“ listet fik­tive wie „echte“ Erzählungen zu UFO-Sichtungen bis 1880 auf. Viele Außerirdische er­reichten damals die Erde mit Meteoriten oder Planetenbruchstücken.

„Kosmische Botschaften“ beschäftigt sich mit den ersten Kontaktfällen.

„Frühe Astronauten“ bietet ein umfang­reiches Panorama der Vorläufer der Prä-Astronautik-These in wissenschaftlichen Ab­handlungen und Zeitungsberichten über ungewöhnliche archäologische Funde. Da treffen wir alles an, was auch heute noch 90 % des Outputs von Paläo-SETI-Autoren ausmacht: die Pyramiden, Tiahuanaco, Baalbek, das „plötzliche“ Erscheinen von Kulturen und Sagen von Sternenmenschen. Oft trafen Entdecker auf fremde Kulturen, etwa in Australien, die sie kaum zu begrei­fen vermochten und die sie deshalb als „fremd“ empfanden. Mehr als einmal wurde spekuliert, es handle sich um Men­schen fremder Planeten, die hier auf der Erde gestrandet waren.

Das letzte Kapitel heißt „Geschichten vom Unerwarteten“ und beschäftigt sich mit den Randphänomenen der UFO-Be­richte: Männern in Schwarz, Marsmenschen und toten Aliens.

Aubecks Buch zeigt: Alles, was heute den UFO-Mythos umfasst, war bereits im 19. Jahrhundert (allerdings teils unter ganz an­deren Vorzeichen) vorhanden, oft als bloße Spekulation, als Zeitungsente oder als fik­tive Erzählung.

Um etwas von der umfassenden Art zu zeigen, in der das Thema behandelt wird, sollen hier stellvertretend zwei Listen aus dem Buch stehen (leicht bearbeitet), die „erste Male“ bei der UFO-Berichterstattung markieren. So wurde die These, der Mensch stamme von anderen Planeten, unter ande­rem geäußert von:

  • 1638, Bischof Godwin: Indianer stammen vom Mond
  • 1657, Cyrano de Bergerac: Adam und Eva stammen vom Mond
  • 1728, Murtagh McDermot: Pythagoras stammte vom Mond
  • 1784, Martín Dobritzhoffer: Die Indianer Paraguays stammen vom Mond
  • 1787, Nicolas Edme: Biblische Personen stammen von anderen Planeten
  • 1823, Francois Chabrier schreibt Bücher über außerirdische Besucher auf der Erde
  • 1841, Jacques Bucher: Ein Planet sendete die Menschen zur Erde
  • 1852 ff, Brigham Young (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage): Adam und Eva stammten von einem an­deren Planeten
  • 1852, Quirico Filopanti: Die Menschheit stammt von der Venus
  • 1852: Thomas Lake Harris: Die Mensch­heit stammt von der Sonne
  • 1870, Auguste Dufesne: Australien und seine Bewohner stammen aus dem All

Über Lehrmeister aus dem All spekulier­ten bereits:

  • 1705, Daniel Defoe – Chinesen hatten Kon­takt mit Mondmenschen
  • 1865, D’Espiard – Außerirdische Lehrmeis­ter kamen auf Kometenfragment an
  • 1882, D’Espiard – Außerirdische Lehrmeis­ter auf der Osterinsel und in Ägypten

Auch zwei deutsche Kontaktfälle des 19. Jahrhunderts, von denen ich nie zuvor gehört hatte, finden sich in dem Buch. So soll 1839 ein Henry Werner, Doktor der Philoso­phie in Stuttgart, sich mittels Hypnose (Mesmerismus) von zwei weiblichen Me­dien mit Geistern auf dem Mond, der Venus und anderen Himmelskörpern unterhalten haben (gemeint ist Heinrich Werner 1839), und zweitens wurde 1848 eine englische Kurzgeschichte über einen Kontakt mit Ali­ens veröffentlicht. Sie sollen an Weihnach­ten 1846 in einem Meteoriten angereist sein und mit einem Dr. Astercop aus Mindelthal, Bayern, Kontakt aufgenommen haben. Wie Aubeck darstellt (der jeden der Augenzeu­genberichte genau und rational unter die Lupe nimmt), basiert diese Fiktion auf ei­nem authentischen Meteoritenfall im De­zember 1846 bei Mindelthal. Diese Vorlage (in der natürlich von Aliens keine Rede war) konnte ich ebenfalls in deutschen Zeitun­gen aufspüren: „Aus Bayern. Im Mindelthale (Provinz Schwaben) ward am Christfeste, Nachmittags 2 Uhr, in einem Umkreise von mindestens 18 Stunden Durchmesser ein Getöse vernommen, welches anfänglich fer­nem Kanonendonner glich, der aber später in ein Trommeln oder Pauken überging, das mit einem lang gezogenen Sausen und Klin­gen, dem Klang ferner Trompeten vergleich­bar, endigte. Die ganze Erscheinung dauerte etwa drei Minuten. Im Filialdorf Schönen­berg wurde von einigen Personen eine rasch fliegende schwarze Kugel hoch über den Häusern bemerkt, und eine derselben sah diese Kugel in einem Garten in die Erde einschlagen. Die hatte den etwas gefrore­nen Lehmboden zwei Fuß tief durchdrun­gen. Der zu Tage geförderte Meteorstein wiegt 14 Pfund 17 Loth.“ (Karlsruher Tag­blatt, 10. Januar 1847, Seite 3)

Das Buch ist mit 382 Seiten recht um­fangreich, aber es enthält auch jede Menge an – vorher kaum bekannten – Informatio­nen. Dazu kommt, dass es außerordentlich kurzweilig, aber immer seriös geschrieben ist. Ich werde es mir sicherlich noch mehrmals vornehmen: Je nach Fragestellungen, mit denen man sich gerade beschäftigt, wird man immer neue Ideen und Fakten da­rin finden.

Ulrich Magin   

382 Seiten, Taschenbuch, 15 x 21,5 cm, ISBN 979-8360357186, Preis 19,21 € €

Independently published
2022

Hier erhältlich

Literatur
Abret, Helga; Boia, Lucian: Das Jahrhundert der Marsianer. München: Heyne 1984
Werner, Heinrich: Die Schutzgeister oder merkwürdige Blicke zweier Seherinnen in die Geisterwelt. Stuttgart und Tübingen: J.G. Cotta’sche Buchhandlung 1839

Quelle: JUFOF Nr. 268, 4/2023: 123 ff