David J. Hufford: The Terror That Comes In The Night

An Experience-centered Study Of Supernatural Assault Traditions


Einleitung

„Jemand wacht auf, weil sich etwas seinem Bett nähert; er ist völlig paralysiert; dieses ‚Etwas‘ klettert auf ihn und drückt derartig fest auf seinen Brustkorb, daß er kaum atmen kann. Neufundländer nannten dieses Erlebnis ‚Old Hag‘“ (Hufford, 1996, S. 318).

David J. Hufford ist ein US-amerikanischer Volkskundler und Ethnograf und war Lehrstuhlinhaber für medizinische Geisteswissenschaften am Penn State University College of Medicine, Pennsylvania. Basierend  auf einem persönlichen Erlebnis begann er sich bereits als Student für Schlafparalyse zu interessieren (Hufford, 2005, S. 19). Durch sein Studium an der Memorial University of Newfoundland kam er in Kontakt mit Erzählungen über die „Old Hag“[1], mit der auf der kanadischen Insel Neufundland oben beschriebene alptraumartige Erfahrungen vor dem Einschlafen oder kurz nach dem Erwachen bezeichnet werden. Seine Forschungsarbeit hierzu, die zunächst nur einige Monate andauern und deren Ergebnisse als Konferenzbeitrag veröffentlicht werden sollte (Hufford, 1976), wuchs zu einer fast zehnjährigen Tätigkeit an und resultierte in der hier rezensierten Monografie. The Terror That Comes In The Night ist eine kulturwissenschaftliche Arbeit  auf dem Gebiet der Außergewöhnlichen Erfahrungen (AgE) und wird in der anomalistischen und UFO-bezogenen Literatur oft zitiert – sowohl im Kontext schlafassoziierter Erlebnisse per se als auch in direkter Gegenüberstellung mit „Bedroom-Visitor-Fällen“ aus der UFO-Entführungsliteratur (vgl. z.B. Kohls, 2017, S. 11; von Ludwiger, 2009, S. 229; Appelle, Lynn und Newman, 2000, S. 265; Randle, Estes und Cone, 1999, S. 301–304; Emmons, 1997, S. 175; Evans, 1984, S. 295–298).


Untersuchungsgegenstand und Methoden

Charakteristisch für die wissenschaftliche Arbeit Huffords ist der sogenannte erfahrungszentrierte Ansatz beim Studium spiritueller oder paranormaler Überzeugungen (S. x; vgl. auch Schäfer, S. 39). Er ging zunächst der Kernfragestellung nach, ob der volkstümliche Glaube an die „Old Hag“ ausschließlich auf kulturellen Überlieferungen beruht oder ob er stärker durch persönliche Erfahrungen geprägt ist. Im Laufe dieser Untersuchung entwickelte er dabei „eine phänomenologische Form des Interviews mit Personen, die eigene Erfahrungen vorweisen, welche übernatürliche Glaubensvorstellungen stützen“ (S. xiv).

Im Kapitel 1 des Buchs beschreibt Hufford die Tradition bzw. Überlieferung der „Old Hag“ auch anhand konkreter Fälle aus Neufundland und arbeitet vier Grundeigenschaften des „being hagged“ als (eine negative, belastende) AgE heraus (S. 10 f.):

  1. Erfahrung tritt während des Erwachens oder Einschlafens auf;
  2. Hören und/oder Sehen, wie etwas in den Raum eindringt und sich dem Schlafplatz nähert;
  3. auf die Brust gedrückt oder gewürgt werden;
  4. Unfähigkeit, sich zu bewegen oder zu schreien.

Zu dieser Art AgE wird dann im Kapitel 2 die Hypothese der kulturellen Prägung aufgestellt: Diese Erfahrungen sind fiktive Produkte einer bekannten Überlieferung oder eingebildete subjektive Erfahrungen, geformt oder ganz verursacht durch die Überlieferungen selbst (S. 14). Da das bestehende Archivmaterial aber eine große Anzahl an Identität von Erzählenden und Erlebenden aufwies, erschien es Hufford notwendig, auch die Gegenhypothese zu formulieren, die Hypothese der Erfahrungsprägung: Die Old-Hag-Tradition enthält Elemente aus persönlichen Erfahrungen, die kulturunabhängig bestehen (S. 15).

Um die beiden gegenläufigen Hypothesen testen zu können, war neues Datenmaterial über Häufigkeit und Verteilung sowie Zusammenhang mit den Überlieferungen bezüglich „Old-Hag-Erfahrungen“ in Neufundland notwendig. David Hufford entwickelte dafür einen Fragebogen mit 14 Items, den er mündlich vor vier Gruppen von Volkskunde-Studierenden vortrug und 93 verwertbare Antworten erhielt. Mit ausgewählten Personen, die hierzu geantwortet hatten, führte Hufford ausführliche qualitative Interviews durch. Dabei benannte er in der Ansprache der Interviewten so wenig Kontext zur „Old Hag“ wie möglich, ließ die Personen jeweils zunächst frei erzählen und beschränkte sich auf möglichst offenes Nachfragen bei unklaren Punkten (S. 37). Das gesprochene Wort gibt er im Buch direkt aus den aufgezeichneten Interviews wieder, unter Angabe verwendeter Transkriptionsregeln (S. xx). Die erlangten Details ermöglichten erste statistische Auswertungen der Erfahrungsberichte aus Neufundland (S. 30 f.).

Im Rahmen seiner weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit hielt Hufford dann Vorträge und gab Interviews in verschiedensten Teilen Kanadas und der USA. Hierbei kam es oft zu Rückmeldungen von Zuhörenden, die vergleichbare Erfahrungen gemacht hatten, denen aber die neufundländische Legende der „Old Hag“ vorher gar nicht bekannt war. So erfolgt in Kapitel 3 des Buchs eine kulturunabhängige Phänomenologie der Erfahrung auf Basis vieler weiterer direkt transkribierter Interviews, bei denen Hufford jeweils spezielle Merkmale herausgreift, deren Häufigkeit im Auftreten bewertet, sie mit anderen Fällen vergleicht und dabei stets auch angibt, wie er zur jeweils befragten Person in Kontakt gekommen war.

Ziel war es, das komplexe Wesen der Erfahrung und den Zusammenhang mit der Überlieferung in individuellen Fällen möglichst direkt aus dem Datenmaterial, also den Schilderungen der Erfahrenden zu ermitteln. Würden sich stabile Muster von Erlebtem zeigen oder eher zahlreiche unterschiedliche, subjektive Eindrücke, von denen die „Old-Hag-Tradition“ in Neufundland nur einige wenige Aspekte aufgreift (S. 37)?


Ergebnisse und Rezeption

Mit der „Old-Hag-Erfahrung“ beschrieb David Hufford erstmals eine klar differenzierbare, als real empfundene Art von ungewöhnlichem Erlebnis mit konsistenten Merkmalen, die nicht aus kulturellen Überlieferungen hervorgehen, sondern aus direkten Erfahrungen teils ohne Kenntnis irgendeiner Tradition. Im Kapitel 4 des Buches widmet er sich möglichen psychologischen Erklärungen für Ursprung und Mechanismus dieser Erfahrung:

  • Albträume
  • Pavor nocturnus (Nachtschreck)
  • Schlafparalyse
  • hypnagoge (und hypnopompe) Halluzinationen

Es ließ sich zunächst feststellen, dass die Literatur zu Schlaf und Schlafstörungen dieser Art über lange Zeit hinweg die Unterschiede zwischen diesen Formen verwischt hat; teils aufgrund der noch unbekannten messtechnisch möglichen Differenzierungen (insbesondere durch das EEG und die Schlafphasen inklusive REM-Schlaf), teils aufgrund theoriebeladener Herangehensweisen, die kulturelle Aspekte, psychodynamische Interpretationen und persönliche Erlebnisse allzu grob aufeinander abbildeten.

Unter Differenzierung dieser Formen lässt sich die „Old Hag“ als Schlafparalyse mit hypnagogen oder hypnopompen Halluzinationen zuordnen (vgl. parallel zu Huffords Arbeiten auch Ness, 1978). Sie passt auch direkt zur speziellen Form des „Nightmare“ / Nachtmahr / Alpdruck, der diese Erfahrung beschreibt – welcher aber immer weniger von Albträumen allgemein abgegrenzt wird. Sowohl Incubus-Erfahrungen mit ihrer dezidiert sexuellen Konnotation als auch der Pavor Nocturnus (Aufschrecken aus dem Tiefschlaf) gelten Hufford hingegen als abzugrenzende, andere Formen.

Mit Kapitel 5 geht Hufford nochmals anhand ausführlicher Fallbeispiele auf kulturelle Vorstellungen ein, denen Erfahrungen vom Typus der „Old Hag“ mitunter zugeordnet werden:

  • Spuk
  • Hexentum
  • Dämonen und andere negative „übernatürliche“ Entitäten
  • Außerkörperliche Erfahrungen

Nachweisbar finden sich „old-hag-artige“ Erlebnisse in all diesen komplexeren paranormalen oder spirituellen Erscheinungen und Vorstellungen als möglicher Bestandteil.

Drei Kernbotschaften lassen sich für den Rezensenten aus The Terror That Comes In The Night entnehmen:

Erstens das Ergebnis der Untersuchung von Erscheinungen im Verhältnis persönlicher Erfahrungen und kultureller Glaubensvorstellungen: Nach David Hufford ist ein signifikanter Anteil traditioneller spiritueller oder paranormaler Überzeugungen assoziiert mit akkuraten Beobachtungen, die auch rational interpretiert werden[2] (d.h., die Zeugen sind keinen pathologischen Mechanismen oder anderen kognitiven Einschränkungen unterworfen, S. xviii); hierzu gehören z.B. auch Außerkörperliche Erfahrungen (S. 237–244) und Nahtoderfahrungen (S. 251–255). Mit dem erfahrungszentrierten Forschungsansatz für solche Erlebnisse brach Hufford mit der Betonung der Folkloristen auf kulturellen Aneignungen von solchen Glaubensvorstellungen (S. 168; vgl. auch Bullard, 2010, S. 300–303).

Zweitens die (nach wie vor) ungeklärte Ätiologie der untersuchten Schlafparalyse-Erfahrungen mit Halluzinationen: eine psychologische Erklärung für Quelle und Mechanismus dieser bizarren, phänomenologisch komplexen Erfahrungen fehlt. Sie ist kulturunabhängig, konsistent und wird als real wahrgenommen; der Ablauf einer „Old-Hag-Erfahrung“ erfordert keine symbolische

The Nightmare von Henry Fuseli (1781) gilt als eine der klassischen Darstellungen
der Schlaflähmung, die als dämonische Heimsuchung wahrgenommen wird.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Night_hag

Interpretation, seine Elemente sind benennbar und prüfbar (S. 247). Personen, die solche Erfahrungen machen, versuchen regelmäßig, rationale, herkömmliche Erklärungen zu ermitteln (S. 100). Unabhängige Beobachtungen von Schlafparalyse-Erfahrungen durch andere Personen (z.B. Bettnachbarn) belegen auch Bestandteile der körperlichen Erfahrung wie geöffnete Augen, Hyperventilation etc. (S. 98 f.). Details der umfangreichen und gekoppelten Sinneswahrnehmungen der Erlebenden ähneln sich oft allerdings doch nur grob und sind nicht direkt identisch (S. 77, 79) – von Halluzinationen mit Farb- und Lichtflecken über leuchtende Augen, (teils verstorbene) bekannte Personen hin zu dämonen- und alienartigen Kapuzenwesen können z.B. unterschiedlichste Entitäten wahrgenommen werden, die den Erfahrenden bedrängen. Andere kleine Details wie die im Vergleich zur Wegstrecke unverständlich lange Zeitdauer, während derer sich die Entitäten der Schlafstelle nähern (S. 214 f.), weisen, wenn sie vorkommen, wiederum eine interessante Konsistenz auf. Genau diese Aspekte des Wahrgenommenen sind auch aus UFO-Entführungserfahrungen bestens bekannt – mit teils ebenso ungeklärter Entstehungsweise.

Drittens liegt das Augenmerk auf dem Umgang der Wissenschaften mit den Erscheinungen und den Deutungen der Erfahrenden: Dieser bestimmt, wie gut solche AgE tatsächlich differenzierbar und untersuchbar sind. Insbesondere spielt dabei eine Rolle, wie über die jeweilige Erfahrung gesprochen wird, sowohl unter verschiedenen Fachexperten als auch mit und von Betroffenen, und wie diese überhaupt benannt wird (S. 168). Die Unkenntnis der Bekanntheit solcher Erfahrungen führt etwa dazu, dass Erlebende nicht über diese berichten (S. 38) bzw. nicht wissen, wie sie über sie berichten können (S. 48). Oft fallen (bereits vor 40 Jahren!) der Modus der „geschützten Kommunikation“ auf, der viele Berichte über AgE auszeichnet (vgl. Schetsche und Schmied-Knittel, 2003), und die verbale Einordnung der Erlebnisse als „Träume“, obwohl die betroffene Person sich vollkommen wach fühlte (S. 52 f.) – eine weitere Parallele zu Entführungserfahrungen bzw. „Bedroom Visitors“.

Innerhalb der UFO-Forschung lassen sich zwei Arten der Rezeption feststellen, die David Huffords Arbeit über die Jahre erfahren hat: Für Befürworter eines konstanten externen (z.B. außerirdischen) Phänomens hinter UFO-Erfahrungen, das in die Metaphern der jeweiligen Zeit oder Kultur eingekleidet wurde, wurden UFOs bzw. deren „Insassen“ früher als Dämonen bzw. „Old Hag“ interpretiert. Vertreter psychosozialer Hypothesen hingegen ziehen Schlafparalyse als mögliche Erklärung für Erscheinungen wie die „Old Hag“, aber auch „Bedroom Visitors“ (also als Außerirdische gedeutete Entitäten) heran. Sie schließen dabei aber nicht notwendigerweise eine noch unbekannte Ursache für solche Erfahrungen aus (vgl. die „Entity Experience“ nach Evans, 1984, S. 295–298). Die Parallelen zum deutungs- vs. erfahrungsbasierten Ansatz, wie Hufford sie beschrieben, sind offensichtlich (mit dem Unterschied, dass hier die kulturelle Deutung von deren Befürworten als Tatsache erachtet wird – Außerirdische, Interdimensionale, Zeitreisende oder anderweitig nichtirdische Intelligenzen verursachen die Erfahrungen).

Bereits in The Terror That Comes In The Night weist der Autor auch selbst auf den Zusammenhang zu UFOs hin und zitiert frühe Literatur, insbesondere John Keel, der im Umfeld seiner UFO-Ermittlungen eigene Schlafparalyse-Erlebnisse hatte und diese entsprechend interpretierte (S. 232–234). Im Juni 1992, zehn Jahre nach dem ersten Erscheinen des Buchs, nahm Hufford auf Einladung an der bekannten „Abduction Study Conference“ teil, die am Massachusetts Institute of Technology veranstaltet wurde (Hufford, 1996; vgl. auch Bryan, 1999, S. 190–192). Er berichtete, inzwischen selbst Erfahrungen untersucht zu haben, die als UFO-Entführungen einzuordnen sind, äußerte aber Zweifel an „[der] Entführungstheorie, [den] Entführungsdaten und [der] Interpretation dieser Daten“ (Hufford, 1996, S. 318). Die Ähnlichkeiten der Inhalte solcher schlafparalytischen Erfahrungen bleiben für ihn dennoch eine Anomalie (ebd., S. 321) und er weist nachdrücklich auf die Zusammenhänge zwischen Entführungserfahrungen und anderen, kulturübergreifend auftretenden anomalen Erlebnissen wie Nahtoderfahrungen, Außerkörperliche Erfahrungen oder Geistererscheinungen hin, von denen auch Entführungserfahrende berichten und die nicht zugunsten einer „voreiligen Theoriebildung“[3] ignoriert werden dürften (ebd.).


Fortschritte und heutige Bedeutung

Wie sich in The Terror That Comes In The Night bereits andeutete, sind Schlafparalyse-Erfahrungen nicht etwa nur bei Narkolepsie-Erkrankten relevant (wo sie ein Kernsymptom darstellen), sondern solche Dysregulationen des REM-Schlafs mit Wachheit und gleichzeitiger Muskelatonie haben in der Gesamtbevölkerung eine höhere Prävalenz als damals angenommen (8% über die Lebenszeit in der Gesamtbevölkerung, in manchen Personengruppen wie Studierenden aber mehr als 28%, vgl. Sharpless und Doghramji, 2015, S. 96). Demgegenüber fehlen nach wie vor häufigere und systematischere klinische Abklärungen, Kenntnisse über Zusammenhänge zu anderen Erkrankungen, über den Krankheitswert der Folgen wiederkehrender Schlafparalysen sowie verschiedene Behandlungsmöglichkeiten für chronische Formen (vgl. ebd., S. 7, 213 f.). Während biologische Erklärungen für die Schlafparalyse sich aus dem Zusammenhang mit dem REM-Schlaf ergeben, vor allem für die Lähmung und die Tendenz zur Halluzination, bleiben der Gesamtprozess einer solchen Erfahrung sowie Details wie das Druckgefühl und die genaue Genese der multimodalen Halluzinationen nach wie vor unklar (vgl. ebd., S. 18 f., 74, 76–78). Auch aktuelle psychodynamische Theorien fehlen (vgl. ebd., S. 134, 196).

Neben dem englischsprachigen Standardwerk zum Thema (vgl. Sharpless und Doghramji, 2015) bieten einen ausgezeichneten deutschsprachigen Überblick über den aktuellen Erkenntnisstand zu Schlafparalyse-Erfahrungen und ihren verschiedenen Deutungen auch Fuhrmann und Mayer, 2016.

David Hufford setzte seine Forschungen zu solchen Erfahrungen fort und führte wiederholt Umfragen und Interviews dazu auch in weiteren Bevölkerungen durch. Über die für Neufundland und weitere Teile von Nordamerika charakteristischen „Old Hag“ hinaus verallgemeinerte er solche „übernatürlichen Angriffe“ als „Mara Attack“[4] und betonte weiterhin die spirituelle oder paranormale Komponente dieser Erfahrungen (vgl. z.B. Hufford, 2005), die einer Erklärung harrt. Sie gehört zu einer Kategorie halluzinatorischer Schlafparalyse-Erfahrungen, bei denen „die kausalen Zusammenhänge zwischen anomalen Überzeugungen und anomalen Erfahrungen“, ein möglicherweise „nichtlinearer wechselseitiger Prozess“ auch heute noch als erforschenswert benannt wird (Sharpless und Doghramji, 2015, S. 214, Übers. d. Verf.)

Auch weiterhin zeigt sich die unterschiedliche Behandlung solcher Erfahrungen in verschiedenen Disziplinen und deren Publikationen: Da AgE bisher nicht auf einzelne, identifizierbare Ursachen zurückführbar sind, könnten, von kulturellen Deutungen (Außerirdische, „Shadow People“, Geister, Hexen etc.) befreit, noch unbekannte Eigenschaften solcher Erfahrungen zutage treten, die zu untersuchen wären, betont z.B. auch Bullard, 2010, S. 303. Gleichzeitig wird aber auch immer wieder z.B. das UFO-Entführungsnarrativ als moderne Folklore beschrieben, die ganz im Sinne der Hypothese der kulturellen Prägung die Entstehung weiterer Entführungserfahrungen linear verursacht (vgl. z.B. Östling, 2021).

Inzwischen sind seit dem Ersterscheinen von The Terror That Comes In The Night 40 Jahre vergangen. Untersuchungen von AgE bzw. deren Mitteilungen finden häufiger und in vergleichbarer Form statt, wie David Hufford diese in seiner Monografie beschrieb: mit einem erfahrungsbasierten Ansatz (vgl. Schäfer, 2012; Kohls, 2017). Gleichzeitig übt die Digitalisierung unserer Alltagskultur einen großen Einfluss auf den Umgang auch mit AgE aus (vgl. Pohl, 2018; Ammon, 2018). Heute berichten Menschen über ihre Schlafparalyse-Erlebnisse (und ihre Deutungen ebendieser) in selbst veröffentlichen Videos auf YouTube. Auch ein umfangreiches Interview mit David Hufford selbst über sein Forschungsthema ist dort verfügbar (Dark Element Films, 2021).

Welche Erkenntnisse können wir also in dieser veränderten Zeit aus dem Buch von 1982 noch ziehen? Das sind vor allem die Art der nüchternen, wissenschaftlichen Abhandlung über erfahrungszentrierte Einzelfalluntersuchungen mit ihren 36 eindrücklichen Fallbeispielen, die beschriebenen und angewandten Methoden (Fragebogen, qualitative Interviews, Vermeiden von Leitfragen etc.) und die für den Leser deutliche inhaltliche Trennung von Tradition und Sprache über die „Old Hag“ (Kapitel 1), eigentlicher Erfahrung (Kapitel 2 und 3) und Theorie bzw. Deutungen zu dieser (Kapitel 4 und 5), die der Autor bewusst vornahm (S. 134). Diese Darstellung erscheint nach wie vor vorbildhaft für eine wissenschaftliche Untersuchung solcher Erfahrungen[5] – in der UFO-Forschung sind solche Herangehensweisen kaum zu finden. Das Vorhandensein einer Bibliografie, eines Sachindex und eines speziellen Index der „Old-Hag-Merkmale“ und wo im Buch diese in Beispielfällen beschrieben oder diskutiert werden, machen es auch als Nachschlagewerk optimal nutzbar.

David Hufford gelang es erstmalig, einen Zusammenhang zwischen Schlafparalyse und spirituellen oder paranormalen Glaubensvorstellungen aufzuzeigen; er blieb und bleibt diesem Phänomen gegenüber jedoch stets agnostisch und es finden keine Spekulationen pro oder kontra bestimmter Deutungsarten statt (was auch mehrfach im Buch betont wird, S. 117, 256). Der Autor argumentiert, dass ein ergebnisoffenes Vorgehen darin bestehen muss, Eigenschaften und Vorkommen einer Erfahrung zu untersuchen, ohne Beweise für unbekannte Phänomene oder deren Widerlegung finden zu wollen (diskutiert auch am Beispiel der Nahtoderfahrungen auf S. 253): „[…] the trick is to attend to the data and work on hypotheses that are open to empirical confirmation or disconfirmation“ (S. 254).

Von dieser Herangehensweise sind wir etwa im Bereich der UFO-Forschung mit ihrer engen Verwobenheit mit dem UFO-Mythos und der Gleichsetzung UFOs – Außerirdische nach wie vor weit entfernt. Insbesondere im Bereich der Erfahrungen mit sogenannter „High Strangeness“ (wie etwa Nahbegegnungen und UFO-Entführungen) könnten vorschnell übernommene Deutungen oder auch ignorierte bzw. nicht untersuchbare Fälle – weil diese nicht oder nicht vollständig in das vorab bestimmte Muster der „nichtirdischen Intelligenzen“ passen –, dazu führen, dass wir die wahren Ursachen für solche Erfahrungen gar nicht aufdecken können. Besonders aus der UFO-Entführungsforschung ist gar das Weglassen „unerwünschter“ Bestandteile von mitgeteilten Erfahrungen, die nicht zur jeweilig favorisierten Hypothese der untersuchenden Person passen, allzu gut bekannt (vgl. z.B. Randle, Estes und Cone, 1999, S. 348 f.).

Zwei Beispiele aus den GEP-Falldokumentationen verdeutlichen die Problematik: So ist etwa der GEP-Fall S0073 (vgl. Kramer, 2019) sehr gut mit einer klassischen „Old-Hag-Erfahrung“ vereinbar – der Zeuge deutet es jedoch selbst als „eine Begegnung mit Aliens“ (und hat es vermutlich aus genau diesem Grund auch uns als UFO-Forschungsorganisation gemeldet). In der Nahbegegnung im Fall 20150116 A (vgl. Peiniger, 2020) hingegen ist eine Sichtung von Wesen innerhalb eines Flugobjekts enthalten, die charakteristischste Eigenschaft hierbei ist jedoch klar das auf die Zeugen bezogene Verhalten eines Objekts (und seiner „Insassen“), das sich direkt an die beobachtenden Personen zu richten scheint. Ohne die jeweils technischen / außerirdischen Deutungen hätten diese Fälle auch ganz anders interpretiert werden können und wären dann nicht zu den GEP-Fällen gelangt. Dadurch entstehen natürlich offene Fragen: Welche Fälle entgehen uns durch die „Vorab-Auswahl“ „UFO / Alien“? Und wie gelangt man an ein „vollständiges Set“ möglicher Erfahrungen einer bestimmten Art, wenn Erfahrende teilweise nicht einmal wissen, wie diese wirklich zu deuten oder zu benennen sind? Wie groß ist die Verzerrung, die so im Fundus unserer (wenigen) ungeklärten verbliebenen Fälle entsteht?

Auf diese Herausforderungen weist uns The Terror That Comes In The Night auch heute noch hin. David Hufford selbst nahm dazu direkt Stellung: „Meiner Meinung nach ist die Neigung, einer einzelnen anomalen Kategorie Gültigkeit zuzugestehen, alle anderen Kategorien jedoch wegzuerklären, ein ernsthaftes Hindernis für die Forschung. Der Hang, die einzelnen Kategorien anomaler Phänomene unabhängig voneinander zu erforschen, obwohl man nicht eine dieser Kategorien vollständig verstanden hat (sie wären nicht anomal, wenn man sie verstünde), verhindert die Entwicklung adäquater Forschungsmethoden und Theorien.“ (Hufford, 1996, Anmerkung 1, S. 582 f.) Es wird in Zukunft verstärkt Vorgehensweisen wie der von David Hufford bedürfen, um diese Worte nicht als Diagnose der UFO-Forschung auch im 21. Jahrhundert verstehen zu müssen.

Danny Ammon   


[1] auf Deutsch etwa „altes Weib“, „alte Hexe“

[2] das gilt laut dem Autor aber nicht automatisch für alle Arten von Glaubensvorstellungen und ist auch kein automatischer Wahrheitsbeweis der betroffenen Überzeugungen

[3] hier im Sinne der klassischen Extraterrestrischen Hypothese – die im Gegensatz zur aktuellen medialen Rezeption des UFO-Themas von langjährigen UFO-Forschern aus aller Welt häufig als „inadäquat“ betrachtet wird, vgl. dazu Hourcade, 2018; Ammon, 2020

[4] von „Nightmare“, Nachtmahr

[5] Hilary Evans würdigte sie als „model study“, vgl. Evans, 1984, S. 9

304 Seiten, broschiert, ISBN-13: 9780812213058, Preis: $ 26,50


University of Pennsylvania Press
www.pennpress.org
Philadelphia, USA, 2010 (Reprint von 1982)

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Quellen

Ammon, Danny: UFO-Forschung und die Extraterrestrische Hypothese: Ein valider Untersuchungsansatz? In: Journal für UFO-Forschung 41 (2020), Nr. 251, S. 139–149

Ammon, Danny: „Hi! Was sagt ihr zu diesen Aufnahmen???“ Einflüsse von Melderkommunikation und Digitalisierung auf die Methoden der UFO-Forschung. In: Kettmann, Marius (Hrsg.): DEGUFO-Jahrbuch 2017. Groß-Gerau: Ancient Mail Verl., 2018, S. 47–60

Appelle, Stuart; Lynn, Steven Jay; Newman, Leonard: Alien Abduction Experiences. In: Cardeña, Etzel; Lynn, Steven Jay; Krippner, Stanley (Hrsg.): Varieties of Anomalous Experience. Washington: American Psychological Association, 2000, S. 253–282. DOI: 10.1037/14258-008

Bullard, Thomas E.: The Myth and Mystery of UFOs. Lawrence: University Press of Kansas, 2010

Bryan, C.D.B.: Akte UFO. München: Goldmann, 1999

Dark Element Films (Hrsg.): Sleep Paralysis Explained – 2007 Interview With David J. Hufford Ph D. 8.3.2021. Online verfügbar unter www.youtube.com/watch?v=O5a1sFoljLk

Emmons, Charles F.: At The Threshold. Mill Spring: Wildflower Press, 1997

Evans, Hilary: Visions – Apparitions – Alien Visitors. Wellingborough: The Aquarian Press, 1984

Fuhrmann, Max; Mayer, Gerhard: Schlafparalyse: Phänomenologie – Deutung – Coping. In: Zeitschrift für Anomalistik 16 (2016), S. 275–306. Online verfügbar unter www.anomalistik.de/images/pdf/zfa/zfa2016_3_275_fuhrmann_mayer.pdf

Hourcade, Milton (Hrsg.): Aliens, Ships and Hoaxes. Annandale: Selbstverl., 2018. Zusammenfassung auch verfügbar unter www.uapsg.com/2018/11/a-summary-of-survey.html

Hufford, David J.: Sleep Paralysis as Spiritual Experience. In: Transcultural Psychiatry 42 (2005), Nr. 1, S. 11–45. DOI: 10.1177/1363461505050709.

Hufford, David J.: Das Erwachen in Gegenwart eines fremden „Besuchers“ mit dem Gefühl, gelähmt zu sein. In: Pritchard, Andreas; Pritchard, David E.; Mack, John et al. (Hrsg.): Alien Discussions. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins, 1996, S. 318–324

Hufford, David J.: A New Approach to the “Old Hag”: The Nightmare Tradition Re-examined. In: Hand, Wayland D. (Hrsg.): American Folk Medicine. Berkeley: University of California Press, 1976, S. 73–86. DOI: 10.1525/9780520336773-009

Kohls, Niko: Spiritualität und außergewöhnliche Erfahrungen im Kontext der akademischen Psychologie. In: Hofmann, Liane; Heise, Patrizia (Hrsg.): Spiritualität und spirituelle Krisen. Stuttgart: Schattauer, 2017, S. 3–14

Kramer, André: Bedroom-Visitor-Erlebnis in Dessau. In: Journal für UFO-Forschung 40 (2019), Nr. 245, S. 130–132

von Ludwiger, Illobrand: UFOs: Die unerwünschte Wahrheit. Rottenburg: Kopp-Verl., 2009

Ness, Robert C.: The Old Hag Phenomenon As Sleep Paralysis: A Biocultural Interpretation. In: Culture, Medicine and Psychiatry 2 (1978) S. 15–39. DOI: 10.1007/BF00052448

Östling, Erik A.W.: ‘I Figured That in My Dreams, I Remembered What Actually Happened’: On Abduction Narratives as Emergent Folklore. In: Zeller, Benjamin E. (Hrsg.): Handbook of UFO Religions. Leiden: Brill, 2021, S. 197–232. DOI: 10.1163/9789004435537_010

Peiniger, Hans-Werner: GOOD UFO (CE III) in Leichlingen. In: Journal für UFO-Forschung 41 (2020), Nr. 249, S. 66–72. Fallbeschreibung auch online verfügbar unter www.youtube.com/watch?v=vjX3y63eRYs&t=252s

Pohl, Sarah: Veränderung der Interpretation paranormaler Erfahrungen durch den Einfluss neuer Medien. In: Zeitschrift für Anomalistik 18 (2018), Nr. 1+2, S. 143–161. DOI: 10.23793/zfa.2018.143

Randle, Kevin D.; Estes, Russ; Cone, William P.: The Abduction Enigma. New York: Forge, 1999

Schäfer, Christina: Außergewöhnliche Erfahrungen. Münster: LIT Verlag, 2012

Schetsche, Michael; Schmied-Knittel, Ina: „Wie gewöhnlich ist das Außergewöhnliche?“ In: Bauer, Eberhard; Schetsche, Michael (Hrsg.): Alltägliche Wunder. Würzburg: Ergon Verl., 2003, S. 171–188

Sharpless, Brian A.; Doghramji, Karl: Sleep Paralysis. New York: Oxford University Press, 2015. DOI: 10.1093/med/9780199313808.001.0001


Quelle: JUFOF Nr. 264, 6/2022: 184 ff