Diana Walsh Pasulka: American Cosmic

UFOs, Religion, Technology


Forschungsinteresse und Methodik

Diana Walsh Pasulka ist Professorin für Religionswissenschaft (religious studies) an der University of North Carolina Wilmington. Ihr leitendes Forschungsinteresse, das sie zur UFO-Thematik geführt hat, richtet sich auf die Entstehung und Verbreitung von Glaubenssystemen. Die Überzeugung von der Echtheit des UFO-Phänomens ist für sie ein typisches Beispiel für die Entstehung eines neuen Glaubenssystems in unserem technologisch geprägten Zeitalter: „This book is about contemporary religion, using as a case study the phenomenon known as the UFO.“[1] Im Sinne einer religionswissenschaftlich orientierten Feldforschung erkun­dete sie ab 2012 das „UFO-Feld“, wobei sie mit zentralen Protagonisten der seriösen UFO-Forschung zusammentraf, deren Ar­beits- und Denkweise sie zu ergründen ver­suchte. Sie arbeitete z.B. mit Jacques Vallée zusammen, ebenso mit in dem Buch unter einem Pseudonym auftretenden Wissen­schaftlern (die auch selbst anomale Erfah­rungen gemacht haben) wie „Tyler D.“ – dessen Identität m.W. noch nicht bekannt geworden ist – und „James Master“ – hinter dem sich kein Geringerer verbirgt als Garry Nolan, der nach dem Erscheinen des Bu­ches seine Identität preisgegeben hat.

Der Grund dafür, dass hochrangige Wis­senschaftler, die sich neben ihrer eigentlichen Tätigkeit mit UFO-Forschung be­schäfti­gen, anonym bleiben wollen, liegt haupt­sächlich darin, dass sie wegen einer in der Gesellschaft und in der Mainstream-Wissen­schaft immer noch gängigen Stigma­tisierung des Themas eine eventuelle negative Aus­wirkung auf ihre Karriere vermeiden möch­ten. Pasulka verwendet den von J.Allen Hy­nek geprägten und von Vallée übernomme­nen Begriff des „Invisible Col­lege“[2], um diese Gruppe von Wissenschaft­lern, die sich im Verborgenen mit der wis­senschaftlichen Erforschung des UFO-Phä­nomens beschäfti­gen, zu bezeichnen.

Während Pasulka im Sinne einer „teil­nehmenden Beobachtung“[3] die von ihr „scientist-believers“[4] genannten UFO-For­scher „in ihren lebensweltlichen Zusammenhän­gen“[5] beglei­tet und die Daten ihrer Studie er­hebt, fällt es ihr nach eigenen Aus­sagen oft schwer, die eigentlich nötige wis­sen­schaftliche Distanz zu wahren. In der Re­fle­xion ihrer Tätigkeit stellt sie explizit fest, dass sie oft dem Reiz des Themas wie auch dem besonderen Charisma der von ihr be­gleiteten Forscher zu erliegen drohte: „[…] what I observed of their work places me in the odd position of almost confir­ming a myth. This is not the preferred posi­tion of the academic author of books about reli­gion.“[6]/ „[…] the charisma and convic­tion of the scientist-believers were difficult to dis­count – at least for me.“[7]

Ein weiteres Ziel ihrer Arbeit ist es, die Wechselwirkung zwischen der Entstehung und Verbreitung des UFO-Narrativs und den Medien zu analysieren.


UFO-Glaube als neue Religion im technologi­schen Zeitalter

Pasulka hebt die deutlichen Parallelen zwischen mystischen religiösen Erfahrungen und UFO-Erlebnissen sowie deren häufigen paranormalen Begleiterscheinungen hervor. Beide werden von den Erlebenden als eine „hierophany“[8] erlebt. Beide stellen einen „perceived contact with supernatural beings“[9] dar – ob dieser nun als Erscheinen eines Engels oder der Gottesmutter Maria (in traditionell religiöser Interpretation) oder als Kontakt mit UFOs und/oder nicht-menschlichen Wesen aus dem Weltraum oder aus anderen Dimensionen (in einer modernen technologisch geprägten Inter­pretation) gedeutet wird. In beiden Inter­pretationen erscheinen „höhere Mächte“ in unserem gewohnten Alltag. Ein solches Er­lebnis stellt in massiver Weise die ge­wohnte Wahrnehmung der Welt und das komplette Weltbild des Erlebenden in Frage. John Mack sprach in seiner Studie über mutmaßliche „abductions“ von einem „epistemological shock“[10], den ein solches Erlebnis auslöst und der häufig nicht nur ein Trauma zur Folge hat, sondern auch eine als positiv empfundene neue Lebens­einstellung und Verhaltensänderung verur­sachen kann.

Das Erlebnis selbst lässt in der Regel die Deutung des Erlebten noch offen. Wie das Erlebte von dem Erlebenden letztlich gedeu­tet wird (als traditionell religiös oder als UFO-Erlebnis) wird erst durch einen Inter­pretationsprozess bestimmt, der wiederum von seinem kulturellen Kontext und von seinen vorgefassten Glaubensüberzeugun­gen abhängt.

Ein eindrucksvolles Beispiel, wie das­selbe gemeinsam erlebte Ereignis von zwei Ehepartnern aufgrund ihrer unterschiedli­chen Weltsicht nicht nur phänomenologisch unterschiedlich wahrgenommen, sondern auch verschieden interpretiert wurde, gibt Pasulka anhand einer paranormalen Er­scheinung im Haus von Rey und Dulce Hernandez. Ihre von beiden geliebte Hündin Nina hatte Lähmungserscheinungen, die von einem Tierarzt auf eine Hirnblutung zu­rückgeführt wurden. Am nächsten Tag sollte das Tier in der Praxis des Arztes einge­schläfert werden. Am Abend betete die gläubige Katholikin Dulce zu Gott, er möge einen Engel schicken, um Nina zu heilen. Der erklärte Atheist Rey hielt natürlich nichts von solchen Praktiken. Am frühen Morgen wachte Dulce auf und sah nach ih­rem Hund, dessen Zustand sich nicht geändert hatte. Sie trug Nina die Treppe hinunter „and when she got down there she saw an object that was floating four feet off the ground, one foot [away from] the wall, and it was metallic in shape – ap­proximately like an upside-down U. … It has these two ring-lights in the center.“[11] Dulce nahm dieses Objekt trotz seines Aussehens auf dem Hintergrund ihrer Religiosität wahr, kniete nieder und betete, falls es ein guter Geist, ein Engel oder die Jungfrau Maria sei, möge er oder sie ihren Hund heilen. Plötz­lich nahm sie wahr, dass das Objekt blinkte, und sie hatte den Eindruck, ge­scannt zu werden. Voller Panik schrie sie nach ihrem Mann, der jedoch nicht reagierte. Schließlich rannte sie nach ca. 10-15 Minuten nach oben, weckte ihren Mann und zerrte ihn nach unten. Interessanter­weise nahm dieser die Erscheinung anders wahr als seine Frau: „[…] what I saw was not the object that she had seen… What I saw was, I guess could be described as a plasma-object. This was not just an object; I call it a plasma-being, a light-being, be­cause it did control my mind.“[12] Auch die Form des Objekts nimmt er anders wahr als seine Frau, nämlich zylindrisch, und es sei vielfarbig, durchsichtig und nicht metallisch, sondern rein energetisch gewesen. Nach seiner Aussage fühlte sich Rey wie hypnoti­siert, ging wieder nach oben, legte sich ins Bett und starrte etwa 15 Minuten an die Decke. Dann hörte er unten seine Frau ju­beln, weil der Hund plötzlich geheilt gewe­sen sei und herumtollte.

Während das Erlebnis für Dulce eine Be­stätigung ihres katholischen Glaubens war, begann Rey sich in Literatur über UFOs und Paranormales zu vertiefen, um eine Erklärung für das Erlebte zu finden. Später er­lebte die Familie noch mehrere beeindruckende UFO-Sichtungen. Rey Hernandez gründete schließlich zusammen mit dem Apollo-Astronauten Edgar Mitchell und an­deren die Stiftung FREE (Foundation for Re­search into Extraterrestrial Encounters).[13]

Das geschilderte Ereignis ist ein guter Beleg dafür, wie die Interpretation eines anomalen Ereignisses ablaufen kann. Die Frau nimmt das Erlebte als Bestätigung eines bereits zutiefst gefestigten Glaubens wahr, wobei sie sich auch nicht durch die äußere Erscheinung des Objekts (metalli­sches Aussehen, Gestalt eines umgedrehten U, Ring von Lichtern in der Mitte) und sein Verhalten (Blinken, Scannen) in ihrer Deu­tung beeinflussen lässt. Ein epistemologi­scher Schock und eine dadurch ausgelöste Neuorientierung finden auf dem Hinter­grund ihres bereits festgefügten Weltbildes nicht statt, weil es ihr möglich ist, das Er­lebte in ihre Glaubensvorstellungen zu integrieren. In ihrem Mann hingegen löst das Erlebte eine völlige Neuorientierung aus: Er begibt sich auf die Suche nach einem Welt­bild, das ihm eine Erklärung für das Erleb­nis bietet, und er findet schließlich einen neuen Lebenssinn, indem er FREE mitbe­gründet und sich der Arbeit in dieser Orga­nisation widmet.

Das erlebte Phänomen bietet also selbst keine Eindeutigkeit bezüglich seiner Ursache und Bedeutung. Diese werden vom Er­lebenden erst durch einen eigenen Prozess der Interpretation kreiert. Der Zeuge stößt im Verlauf seiner Suche nach Erklärungen z.B. auf UFO-Literatur, beginnt sich in seine Recherchen zu vertiefen und interpretiert das Erlebte auf der Grundlage dessen, was Pasulka „book encounter“[14] nennt. Durch Bü­cher und andere Medien festigt sich so das neu erworbene Weltbild.

Die grundsätzliche Mehrdeutigkeit des Phänomens verdeutlicht Pasulka an dem schon klassisch zu nennenden Beispiel der Erscheinungen in Fatima 1917. Begin­nend am 13. Mai erschien den drei Hirten­kindern Lucia, Francisco und Jacinta immer am 13. des Monats insgesamt sechsmal eine leuch­tende Frauengestalt in einer ovalen leuchtenden Aura, die von ihnen zu­nächst gar nicht mit der Gottesmutter Maria in Verbin­dung gebracht wurde. Bereits vor diesem Ereignis hatte Lucia seltsame Phänomene gesehen, wie z.B. eine vom Him­mel herab­kommende leuchtende Wolke, in der sie die Umrisse einer menschlichen Ge­stalt sah, oder über den Himmel ziehende Lichter. Doch nun kam es zu einem „Kon­takt“, denn die Kinder erhielten von der „Frau“ den Auftrag, immer am 13. des Mo­nats auf das Feld zu kommen. Immer grö­ßere Mengen von Zeugen fanden sich in den Folgemona­ten zu den Erscheinungen ein – schließlich schätzungsweise 30 000 – 100 000 Men­schen, darunter auch zahlrei­che kritische Journalisten und Wissen­schaftler. So gibt es zu dem schließlich auf­tretenden „Sonnen­wunder“ akribische Be­richte glaubwürdiger und wissenschaftlich geschulter Beobach­ter.[15]

Die Ähnlichkeit zu UFO-Erlebnissen ist augenfällig. Nach Vallée sind klassische religiöse  Erscheinungen „indistinguishable from the technology surrounding the UFO phenomenon.“[16] Pasulka fasst typische Merkmale zusammen wie „the arrival of a shining being in a small sphere […], spin­ning aerial discs, humming noises, heat effects, healing phenomena, some people witnessing it while others do not […] and the message of the beings, which seems absurd and often includes the injunction to remain silent (here, the secrets of Fatima).“[17] Interessant ist in diesem Zusam­menhang die Beschreibung, die der Augen­zeuge Professor José Maria de Almeda Gar­rett von dem „Sonnenwunder“ gibt: „[…] and I could see the sun, like a very clear disc, with its sharp edge, which gleamed without hurting the sight. […] the sun´s disc did not remain immobile, it had a giddy motion[…].“[18] Schließlich scheint die „Sonne“ auf die Erde herabzustürzen und alles zu vernichten. Dieses Ereignis ist nicht nur für die vielen Tausend Augenzeugen sichtbar, die in Panik geraten, sondern es wird auch noch in einigen Meilen Entfer­nung beobachtet.

Die oben erwähnten Summ- oder Brummgeräusche sowie die Sichtbarkeit nur für einzelne Personen – häufig in der UFO-Literatur zu findende Phänomene – bezie­hen sich hier auf die Erscheinungen „Ma­rias“ und ihre Kommunikation mit den Kin­dern. Während die Kinder einen „Blitz“ und das Erscheinen der Gestalt sehen können, sehen die anderen Anwesenden nichts. Und nachdem eines der Kinder die Gestalt ange­sprochen hat, hören die anderen Zeugen anstelle der  Antwort einen „buzzing sound that seemed to be like that of a bee.“[19]

Auch in diesem Falle sind also die ur­sprünglich wahrgenommenen Phänomene von ihrer späteren Interpretation – in die­sem Falle nicht nur durch die Zeugen, son­dern vor allem durch die Kirche, die die „Übernatürlichkeit“ der Ereignisse schließ­lich als „Marienerscheinung“ anerkannte –  zu trennen.


Die Rolle der Medien bei der Herausbildung des UFO-Glaubens

Einen weiteren Schwerpunkt in Pasulkas Analyse bildet die Rolle der modernen Medien bei der Ausbildung und Ausgestaltung des UFO-Glaubens. Hier geht sie insbeson­dere auf die Darstellung des UFO-Phäno­mens in Kinofilmen und in TV-Pseudo-Do­kumentarfilmen ein. Anhand neuerer Er­kenntnisse der Neurowissenschaften arbei­tet sie heraus, wie unsere Vorstellun­gen von dem Phänomen untrennbar mit seiner fiktionalisierten Darstellung verbun­den sind.

Unter Berufung auf neuere Studien zeigt sie auf, wie sehr unsere Erinnerung reale und fiktive Erlebnisse untrennbar miteinan­der vermischt, da unser Gehirn in beiden Fällen dieselben Verarbeitungsmechanismen anwendet und sie gemeinsam abspeichert. Sie beruft sich auf den Neurowissenschaft­ler Jeffrey Zacks, wenn sie konstatiert: „We create cognitive models of events […] These models can get conflated, especially if two or more events resemble each other – even if one is real and one is fictional.“[20]

Dieser Mechanismus wird durch neuere Trends in den Medien verschärft, nämlich durch die Hoffnung, einen besseren kom­merziellen Erfolg zu erzielen, indem man zum einen fiktionale Produkte als „based on true events“ deklariert, sowie durch die Schnitttechnik der „realist montage“.[21] Mit letzterem ist eine Technik der Bildmontage gemeint, durch die man in fiktionale Bilder historische Aufnahmen einschneidet, um so die Fiktion realistisch und authentisch er­scheinen zu lassen. Beide Techniken setzen also gerade unsere Neigung, beide Darstel­lungsebenen in unserer Wahrnehmung und Erinnerung zu vermengen, als verkaufsför­dernd ein.

Diese Mittel betreffen natürlich nicht nur UFO-Darstellungen, sondern auch fiktionali­sierte Darstellungen z.B. historischer Ereig­nisse – Pasulka verweist z.B. auf Filme über das Leben Jesu. Aber mit Bezug auf den UFO-Glauben ist hier natürlich wichtig, dass unsere Vorstellungen, wie z.B. UFOs und Aliens aussehen, untrennbar mit Erinnerun­gen an entsprechende Darstellungen in Film und Fernsehen verbunden sind, vor allem wenn wir nie selbst ein solches Erlebnis hatten.

Aber auch die Erinnerungen von Erleben­den des Phänomens (experiencer“) reichern sich im Laufe der Zeit bzw. im Prozess der Interpretation des Ereignisses mit solchen Fiktionen an, ohne dass die betreffenden Personen sich dessen bewusst werden. Pasulka verweist z.B. auf den Betty und Barney Hill-Fall (1961). Beide hatten sich zunächst gar nicht an Außerirdische erin­nert. In ihrer ersten Hypnosesitzung – erst drei Jahre nach den Ereignissen – erinnerte sich Barney an die typischen Augen der Ali­ens. 1994 wies Martin Kottmeyer nach, dass 12 Tage vor dieser Sitzung ein verblüffend ähnliches Wesen in der Science-Fiction-Serie „Outer Limits“ im TV zu sehen war.[22]

Pasulka bezweifelt nicht die Möglichkeit, dass UFO- und Entführungserinnerungen re­ale Erlebnisse zugrunde liegen können, „but the experience is remembered with and through the vast corpus of media products about abductions and UFOs.“[23] So wird also neben den psychologischen Ursachen  noch ein einflussreicher medialer Auslöser für „false memories“ erkennbar.

Besonders einige amerikanische TV-Sen­der wenden die oben genannten Methoden in sog.  „fictionalized factual productions“[24]konsequent an, so z.B. der History Channel in seiner „Hangar 1“-Serie. In dieser werden  echte UFO-Fälle in betont freier Interpreta­tion zugunsten einer gewünschten Span­nungsdramaturgie visualisiert und damit bewusst verfälscht. So hat etwa der oben schon erwähnte Rey Hernandez mit seinen Erlebnissen üble Erfahrungen gemacht. Diese hatte er an MUFON gemeldet, eine Or­ganisation, die manche dieser Berichte zur Vermarktung an den History-Channel ver­kauft. Hernandez musste feststellen, dass die TV-Produktion – z.B. unter völliger Aus­lassung der Heilung des Hundes – aus sei­nen durchaus positiven Erlebnissen eine Horrorgeschichte mit dem Titel „UFO Home Invasion“ gemacht hatte.[25]

So wird also, außer durch psychologische und gehirnphysiologische Ursachen, das ge­sellschaftliche Narrativ über UFOs auch noch aus vermarktungstechnischen Gründen durch frei erfundene Inhalte und entspre­chende Visualisierungen verfälscht. Denn was wir gesehen haben, halten wir schließ­lich leicht für wahr, auch wenn es sich nur um mediale Darstellungen handelt.

Diese These bedarf m.E. allerdings einer Einschränkung. Denn es gibt mittlerweile eine Unzahl an Billigfilm-Produktionen, die z.B. durch den Einsatz einer „found footage“-Ästhetik einen vermeintlichen Realis­mus des Gezeigten vortäuschen wollen, ohne dass die meist als „Monster“ gezeig­ten Aliens jemals in Entführungsfällen oder anderen Kontakt-Berichten wiederzufinden wären. Es scheint also eine Grenze dieser Vermischung von Realität und Fiktion in der Erinnerung zu geben. Wie wäre diese „Ak­zeptanzgrenze“ hirnphysiologisch erklärbar? Pasulka gibt selbst einen wichtigen Hinweis. Sie verweist auf die besondere Wirkmäch­tigkeit der Serie „X Files“[26]. Die auf das UFO-Phänomen bezogenen Episoden wirken deshalb besonders „realistisch“ auf die Zu­schauer (im Unterschied zu den leicht als Fiktion durchschaubaren sonstigen Folgen), weil sie sich an den bereits bestehenden „Glaubensvorstellungen“ über das Phäno­men orientieren – etwa an den Berichten über „alien abductions“, an Vertuschungs­versuchen der Regierung (Pasulka weist da­rauf hin, dass diese durchaus einen gewis­sen Realitätsbezug haben), dem MJ 12-My­thos usw. Fiktionalisierungen wirken sich also dann besonders stark auf das Ver­ständnis des Phänomens aus, wenn sie nicht allzu deutlich freie Erfindungen sind, sondern ein bereits bestehendes Narrativ „bebildern“. So schließt sich der Kreis wechselseitiger Verstärkung zwischen (an­genommener bzw. geglaubter) Realität und ihrer medialen Vermarktung.


UFO-Forschung und Erklärungsversuche durch die „scientist believers“

Ein traditioneller religiöser Glaube bedarf bekanntlich keiner Beweise, auch wenn in­dviduelle Erlebnisse wie Erscheinungen oder „Privatoffenbarungen“ ihn zusätzlich stärken können. Der UFO-Glaube bewegt sich für die „scientist believers“ dagegen im Spannungsfeld zwischen der Überzeu­gung von der Realität des Phänomens und dem Willen, dieses wissenschaftlich zu er­forschen und nachzuweisen. Deshalb sind Forscher wie Vallée, Nolan oder „Tyler D.“ immer auf der Suche nach greifbarer Evidenz. Pasulka schildert, wie sie und Garry Nolan von „Tyler“ zu einer mutmaßlichen UFO-Absturzstelle in New Mexico gefahren werden, wo sie nach Artefakten suchen wollen. Hierbei wird die Parallele zwischen solchen „heiligen Orten“ des UFO-Glaubens und traditionellen religiösen Kultstätten (etwa Wallfahrtsorten) deutlich. „Tyler“, von dem wir erfahren, dass er eine wichtige Position in den Bereichen des US-Raumfahrtprogramms und der Entwicklung biomedizi­nischer Technologien einnimmt[27], zeigt bei dieser Exkursion das auffällige Verhalten eines „Eingeweihten“, der zwar seine Be­gleiter zu dem Absturzort fährt – sie aber dazu zwingt, auf der letzten Etappe der Fahrt eine Augenbinde zu tragen, damit sie den genauen Ort nicht ermitteln können. „Tyler“ erhofft sich von Nolan aufgrund von dessen Expertise in der Analyse von „Me­tamaterialien“ einen Nachweis von Anoma­lien eventueller Fundstücke.

Die wissenschaftlich-sachliche Haltung beider Forscher schlägt nach der Ankunft an der mutmaßlichen Absturzstelle sofort um in eine Ergriffenheit von der angeblich besonderen Aura des Ortes, die sich nur „reli­giös“ deuten lässt – „´I´ve never been to the site without feeling the energy´, Tyler whispered.“[28] Es ist für die „Gläubigen“ die Begegnung mit einer „heiligen Stätte“, an der sich eine Hierophanie ereignet hat und immer wieder neu ereignet.

Die Schwerpunkte von Garry Nolans For­schung sind – wie er auch wiederholt in Interviews erläutert hat – die Analyse von mutmaßlichen „Metamaterialien“, um evtl. anomale Eigenschaften und eine nicht-kon­ventionelle Herkunft bzw. Herstellungsweise nachweisen zu können. Ebenso untersucht er physiologische Auswirkungen, insbeson­dere auf das Gehirn, von Menschen, die eine UFO-Nahbegegnung oder andere para­normale Erlebnisse hatten. Dies tut er mittlerweile auch im Regierungs- bzw. Ge­heimdienstauftrag. Dabei hat er eine spezi­elle Hirnanomalie bei Menschen festgestellt, die Kontakt mit dem Phänomen hatten. Er vermutet deshalb eine besondere „Schnitt­stelle“ bei solchen Menschen, die eine Verbindung mit dem Phänomen ermöglicht: „[…]   let´s identify, where this information is transferred, and identify what types of molecules are involved in this process. This allows us to begin the long road towards identifying the human interface that is our connection to the phenomenon.“[29] Ebenso vermutet er eine Vererbbarkeit dieser „Schnittstelle“, die auf eine evolutionäre Weiterentwicklung der Menschheit hindeu­ten könnte. Denn auch er und z.B. eine nahe Verwandte hatten, wie er berichtet, von Jugend an immer wieder verschiedene „Kontakt“-Erlebnisse.[30]

„Tyler“ hingegen erklärt sich insbeson­dere seine wissenschaftliche Kreativität durch einen ständigen Kontakt mit dem „Phänomen“ mittels „Download“-Erfahrungen.[31]

Welche Erklärungsversuche bieten nun die „scientist believers“ für das Phä­nomen und seine Auswirkungen? Alle For­scher, mit denen Pasulka sich in ihrer Stu­die beschäf­tigt hat, sind keine Anhänger ei­ner einfa­chen „nuts and bolts“- Auffassung des UFO-Phänomens, sondern halten es für eine äu­ßerst komplexe Erscheinung, die nicht durch die These simpler außerirdi­scher Raumschiffe hinreichend zu erklären ist. Vielmehr gehen sie von einem Einfluss auf die Menschheit aus, der sehr vielschich­tig ist und sich zudem durch eine Taktik der „camouflage“ und durch „trickster“-Elemente einem eindeutigen Zugriff und Ver­ständnis absichtlich entzieht. „The UFO phenomenon is a direct challenge to this arbitrary dichotomy between physical real­ity and spiritual reality.“[32] Gleichwohl scheint dieser Einfluss mithilfe der Verwen­dung einer hochentwickelten Technologie zu erfolgen.

Die in dem Buch angedeuteten spekula­tiven Hypothesen lassen sich letztlich unter Vallées These eines „Kontrollmechanismus“ subsummieren. Das UFO-Phänomen wirkt heute, ebenso wie in früheren Zeiten z.B. Marienerscheinungen, als „manifestation of a single control mechanism“ durch „scheduled reinforcement“[33] auf den Erle­benden, nämlich indem es durch Symbole und Botschaften ein bestimmtes erwünsch­tes Verhalten auslöst bzw. verstärkt. Im Un­tertitel seines Buches „The Invisible Col­lege“ spricht Vallée deshalb von dem „UFO Influence on the Human Race“.[34]

Wie und von welchem „Ort“ aus diese unbekannte Intelligenz operiert, ist ebenso unklar und Gegenstand verschiede­ner Spe­kulationen wie die Absicht, mit der die Interaktion geschieht. Es wird z.B. in Be­tracht gezogen, dass es sich bei dem Phänomen um „a form of non-human intelli­gence“ handelt, „interdimensional or coexisting in our own universe, though in a different fre­quency“[35]. Vallée glaubt deshalb, dass die Erforschung des Phänomens zu einem an­deren und genaueren Verständnis von Raum, Zeit und Bewusstsein führen könnte.[36]

Während Nolan eine veränderte Struk­tur im Gehirn als Schnittstelle zu dem Phänomen annimmt, vermutet „Tyler“, dass un­sere DNA oder gar der menschliche Kör­per insgesamt als Empfänger und Sender zur Kommunikation mit dem Phänomen dient: „I basically believe, […] that our DNA is a re­ceptor and transmitter“[37] / „[…] it´s reasonable to think […] the human body […] could act as a transmitter and receiver […]“[38].

Die theoretische Beschäftigung mit dem UFO-Phänomen spielt sich, wie man schon an dieser kleinen Auswahl von An­sätzen sehen kann, in einem Grenzbereich zwi­schen Mainstreamwissenschaft (etwa bei der Analyse von Materialien), spekulati­ver theoretischer Physik und esoterisch anmu­tenden Spekulationen ab.


Abschließende Bewertung

Das Buch von Diana Pasulka bietet einen spannenden Blick hinter die Kulissen der wissenschaftlichen UFO-Forschung, die in teils offener, teils verdeckter Form („invi­sible college“) stattfindet. Dabei geht sie immer von ihrer religionswissenschaftlichen Hypothese des „UFO-Glaubens“ als einer neuen religiösen Bewegung in unserem von moderner Technologie und dem Einfluss neuer Medien geprägten Zeitalter aus. Aber auch wer diese These nicht oder nur mit Einschränkungen teilen kann, wird in dem Buch interessante Hintergrundinformationen finden.

Leider wird die Orientierung in dem Buch durch einige Merkmale ihrer Schreib­weise unnötig erschwert. Der Feldbericht in seiner teilweise tagebuchartigen Form führt dazu, dass inhaltlich zusammengehörige Teile ständig unterbrochen und in späteren Passagen wiederholt neu aufgegriffen wer­den. Das Stichwortverzeichnis erweist sich als nicht immer hilfreich, wenn man solche inhaltlichen Fäden gedanklich zusammenführen möchte.

Manche Erzählstränge werden – wohl aus Gründen einer „Spannungsdramaturgie“ – sogar in unchronologischer Reihenfolge be­handelt. Besonders wird dies in ihrer Darstellung des Besuchs der „Absturzstelle“ in New Mexico deutlich, die sie über das ganze Buch verteilt. Dabei unterbricht sie den Aufenthalt vor Ort und die Suche nach Artefakten durch eine Schilderung der ers­ten Begegnung mit „Tyler“ und der Einladung zu dieser Exkursion (in Kapitel 1). Den Aufenthalt in New Mexico und den Fund sowie erste Analyseergebnisse des Artefakts greift sie dann in den Kapiteln 2 und 3 wie­der auf, während sie das endgültige Ergeb­nis (es weist tatsächlich eine anomale Zu­sammensetzung auf) erst in ihrem Schluss­kapitel („Conclusion, The Artifact“, S. 240 ff.) preisgibt.

In ähnlicher Weise werden die theoreti­schen Überlegungen der verschiedenen „scientist believers“ über das ganze Buch verteilt. Nebenbei erfahren wir außerdem einiges über Alltäglichkeiten, z.B. über die hervorragende Qualität des italienischen Kaffees.

Trotz solcher Einschränkungen und der mitunter nicht immer stringenten Darstel­lung eine empfehlenswerte Lektüre.

Kurt Ullrich   


[1] D. W. Pasulka, American Cosmic, S. 2 „Dieses Buch be­schäftigt sich  mit zeitgenössischer Religion, wobei es das als UFO bekannte Phänomen als Fallstudie verwen­det.“ (Übersetzung – auch im Folgenden –  durch den Re­zensenten)

[2] Vgl. Pasulka, S. 4

[3] Zur Methodik der Feldforschung vgl.  https://www.blogs.uni-mainz.de/fb09kulturgeographie/files/2012/05/Feldfor­schung_-%C3%9Cber-die-Praxis-des-kulturwissenschaftli­chen-Arbeitens.pdf

[4] Zur Abgrenzung gegen bloße UFO-Gläubige verwendet sie diesen Begriff für Wissenschaftler, die von der Echt­heit des Phänomens überzeugt sind und es deshalb zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung machen.

[5] s. Anm. 3

[6] Pasulka, S. 4 „Was ich von ihrer Arbeit beobachtete, brachte mich in die seltsame Position, fast einen Mythos zu bestätigen. Dies ist nicht die bevorzugte Position ei­nes akademischen Autors von Büchern über Religion.“

[7] Pasulka, S. 8 „Es fiel schwer, das Charisma und die Über­zeugung der scientist-believers unberücksichtigt zu lassen – wenigstens mir.“

[8] Pasulka, S. 50 und öfter; Hierophanie bedeutet  ein „Auf­scheinen des Heiligen im Profanen“

[9] Pasulka, S. 11 „wahrgenommener Kontakt mit überna­türlichen Wesen“

[10] Zitiert nach Pasulka, S. 9 „epistemologischer Schock“, von Mack auch als „ontologischer Schock“ bezeichnet, d.h. die plötzliche grundsätzliche Infragestellung all des­sen, was wir über das Erkennen und Sein der Welt zu wissen glaubten

[11] Pasulka, S. 188 „und als sie unten ankam, sah sie ein Objekt, das vier Fuß über dem Boden schwebte, ein Fuß von der Wand entfernt, und es hatte eine metallische Gestalt – etwa wie ein umgedrehtes U … Es hatte diese zwei ringförmigen Lichter in der Mitte.“

[12] Pasulka, S. 189 „Was ich sah, war nicht das Objekt, das sie gesehen hatte. Was ich sah, könnte – nehme ich an – als ein Plasma-Objekt beschrieben werden. Dies war nicht einfach ein Objekt; ich nenne es ein Plasma-Wesen, ein Lichtwesen, denn es kontrollierte meinen Geist.“

[13] Vgl. Pasulka, S. 186

[14] Pasulka, S. 100 „Buch-Begegnung“ (in Anspielung auf die CE-Klassifizierungen)

[15] Zu Details der Erscheinungen vgl. Pasulka, S. 162-169. Ausführliche Zitate von Zeugenberichten in deutscher Übersetzung bietet auch Michael Hesemann, Menetekel, Bonifatius Verlag, Paderborn, 2017, S. 87 – 103. Dieses Buch stammt aus der „nach-ufologischen“ Zeit Hese­manns. Er geht hier also nicht auf Ähnlichkeiten mit dem UFO-Phänomen ein, sondern schildert die Geschehnisse ausschließlich aus katholischer Perspektive. Die Zitate sind aber sehr aufschlussreich.

[16] Jacques Vallée, The Invisible College, Anomalist Books, San Antonio, Neuausgabe 2014, S. 154, zitiert nach Pasulka, S. 165. Eine ausführliche Darstellung der Phä­nomene in Fatima bietet Vallée im Kapitel 7 (A Morpho­logy of Miracles), eine tabellarische Gegenüberstellung von „Religious Miracles“ und „UFO Events“ findet sich S. 174- 178

[17] Pasulka, S. 165 „die Ankunft eines leuchtenden Wesens in einer kleinen Kugel[…], sich drehende Scheiben in der Luft, summende Geräusche, Hitzeeffekte, Heilungsphä­nomene, die Tatsache, dass manche Menschen es wahr­nehmen können, andere nicht […] und die Botschaft der Wesen, die absurd erscheint und oft die Anweisung ein­schließt, Stillschweigen zu wahren (hier: die Geheimnisse von Fatima)“

[18] Pasulka, S. 167 f. „und ich konnte die Sonne sehen, wie eine sehr klare Scheibe mit ihrem scharfen Rand, die glänzte, ohne den Augen weh zu tun. […] die Sonnen­scheibe blieb nicht unbeweglich stehen, sie hatte eine rasende Bewegung.“

[19] Eine Zeugenaussage, zitiert von Pasulka, S. 166 „ein summendes Geräusch, das wie das einer Biene klang“

[20] Pasulka, S. 124 „Wir erschaffen kognitive Modelle von Ereignissen. […] „Diese Modelle können verschmelzen, besonders wenn zwei oder mehr Ereignisse einander äh­neln – sogar wenn eines davon real und das andere fikti­onal ist.“

[21] Pasulka, S. 122 „basierend auf wahren Ereignissen“/ „realistische Montage“

[22] Pasulka, S. 146

[23] Pasulka, S. 148 „aber die Erfahrung wird erinnert mit dem und durch den umfangreichen Korpus von Medien­produkten über UFOs und Entführungen.“

[24] Pasulka, S. 131 Der Ausdruck ist schwer übersetzbar, gemeint sind Sendungen, die Fakten gezielt mit Fiktionen vermengen.

[25] Vgl. Pasulka, S. 210-212

[26] Vgl. Pasulka, S. 127 f.

[27] Vgl. Pasulka, S. 28 f.

[28] Pasulka, S. 74 „`Ich war nie an diesem Ort, ohne diese Energie zu spüren´, flüsterte Tyler“.

[29] Pasulka, S. 66 „Lasst uns herausfinden,wo diese Infor­mation übertragen wird, und lasst uns identifizieren, welche Arten von Molekülen in diesen Prozess involviert sind. Dies erlaubt uns, den langen Weg zu beginnen, die meschliche Schnittstelle zu identifizieren, die unsere Verbindung zu dem Phänomen ist.“

[30] Vgl. Pasulka, S. 53 ff.

[31] Vgl. Pasulka, S. 35 „Tyler explained that his connection to off-planet intelligence helps him create biotechnolo­gies.“ „Tyler erklärte, seine Verbindung zu einer Intelli­genz, die nicht von unserem Planeten stammt, helfe ihm, Biotechnologien zu erschaffen.“

[32] Vallée, Invisble College, zitiert nach Pasulka, S. 156 „Das UFO-Phänomen ist eine direkte Herausforderung für unsere willkürliche Trennung zwischen physischer und spiritueller Realität.“

[33] Zitiert nach Pasulka, S. 163 „Manifestation eines einzi­gen Kontrollmechanismus“ / „geplante Verstärkung“

[34] „UFO-Einfluss auf die menschliche Rasse/Spezies“

[35] Pasulka, S. 63 „eine Form nicht-menschlicher Intelli­genz […] ,interdimensional oder mit uns gemeinsam in unserem eigenen Universum existierend, wenn auch in einem anderen Frequenzbereich.“

[36] Vgl. Pasulka, S. 175

[37] Pasulka, S.41 „Ich glaube grundsätzlich, […] dass un­sere DNA ein Empfänger und Sender ist.“

[38] Pasulka, S. 181 f. „[…] es ist vernünftig  zu denken, dass der menschliche Körper als Sender und Empfänger fungieren könnte […]“


288 Seiten, geb., ISBN: 9780190692889, Preis: 21,15 € (E-Book: 12,10 €)

Oxford University Press Inc;
www.global.oup.com
New York, NY (2019)

Hier erhältlich

Quelle: JUFOF Nr. 267, 3/2023: 80 ff