Robert Fleischer: Sie sind hier! Was jetzt?

Warum wir UFOs ernst nehmen sollten

Summa Ufologica: ein Opus
Magnum der Exopolitik

Seitdem Exopolitik Deutschland im Jahre 2007 gegründet wurde, ist bezüglich des UFO-Themas sehr viel Wasser die Elbe, den Rhein und den Potomac hinuntergeflossen. Siebzehn Jahre später, und nachdem sich die Parameter zur Einschätzung des Gegen­stands, wie es den Anschein hat, revolutio­när verändert haben, hat der Chef aka »Ko­ordinator« von Exopolitik Deutschland, Ro­bert Fleischer, nunmehr einen ausführlichen Überblick über die Geschichte und den ak­tuellen Stand des Themas in Buchform vor­gelegt. Die fünf Hauptkapitel sind in der Reihenfolge der physikalischen und sozialen »Strangeness« der Phänomene angeordnet. Das Buch eröffnet mit einem theoretischen Abschnitt, in dem Fleischer die Überlegun­gen einer neuen, hauptsächlich am Freibur­ger IGPP erarbeiteten »Bindestrich-Soziolo­gie«, der Exosoziologie, zusammenfasst, auf welche Weise und mit welchen Folgen ein Kontakt der Menschheit mit außerirdischen Intelligenzen ablaufen könnte. Fleischer sieht die exosoziologischen Kontaktszena­rien in Bezug auf Signale, Artefakte und Be­gegnungen bereits eingetreten und überbie­tet sie mit einem »UFO-Szenario«, dem zu­folge ein Kontakt mit mutmaßlich außerirdischen Intelligenzen bereits in vol­ler Ausprägung stattgefunden hat, jedoch ohne Kenntnis der Weltöffentlichkeit von der staatlichen Exekutivbürokratie einer oder mehrerer Nationen der Erde insgeheim verwaltet wird. Um diese spektakuläre These plausibel zu machen, breitet er in den nachfolgenden Kapiteln des Buches sein Belegmaterial aus.

Der erste empirische Hauptabschnitt, »Unidentifizierte Anomale Phänomene«, legt die über viele Jahrzehnte hinweg ku­mulierten Indizien dafür dar, dass es sich bei UFOs (mit der inzwischen geläufig ge­wordenen Bezeichnung »UAP« versehen, die für »Unidentified Aerial/Anomalous Phenomenon« steht) um physikalisch reale und zugleich anomale Phänomene handelt. Im Zentrum steht der Nachweis der Realität physikalischer Wechselwirkungen von UFOs mit Menschen, Materialien und Messgerä­ten, ein Thema, dem sich insbesondere der verstorbene Gründer von MUFON-CES, Il­lobrand von Ludwiger, verschrieben hatte. Solche Wechselwirkungen sind Radarspuren, zum Teil Mission und Leben gefährdende Einflüsse auf die Bordelektronik von Flug­zeugen und Fahrzeugen sowie Beinahe-Zu­sammenstöße und Gesundheitsschäden an Mensch und Tier. Ein ausführlicher Unterab­schnitt ist der Interaktion von UFOs mit zi­vilen und militärischen Nuklearanlagen ge­widmet, wozu Fleischer vor allem die auf die USA bezogenen Untersuchungen von Robert Hastings rezipiert. Solche Interaktio­nen werden aber auch aus der früheren Sowjetunion, aus der heutigen Russischen Föderation und aus Frankreich berichtet. Sowohl in den USA als auch in der Sowjet­union hat es demzufolge Eingriffe von UFOs in die Startsequenzen von Atomraketen ge­geben. Direkte energetische Interaktionen von UFOs mit Menschen haben anderen Da­tensammlungen zufolge auch schwerwie­gende Gesundheitsschäden und Todesfälle verursacht. Insgesamt ist das erste empiri­sche Kapitel des Buches ein Abriss dessen, was bislang als »UFO-Forschung« öffentlich wahrnehmbar war, wenn man denn ein In­teresse am Thema hatte.

Der zweite empirische Hauptabschnitt, »Geheime Forschung«, trägt nun Belege dafür zusammen, dass sich eine Erfor­schung des UFO-Phänomens nicht nur auf zivile, private Organisationen und Einzel­personen beschränkt hat, sondern auch Ge­genstand nichtöffentlicher staatlicher und hier regelmäßig militärischer Forschung ge­wesen ist. Solche Forschung lässt sich Flei­scher zufolge zum Beispiel für Spanien, Großbritannien und insbesondere die USA nachweisen. Nicht die als »Project Blue Book« oder »Condon-Report« öffentlich be­kannte UFO-Forschung steht dabei im Zent­rum, sondern jüngere Untersuchungen des 21. Jahrhunderts, die die aktuelle Situation mit vorbereitet haben. Hier berichtet Flei­scher ausführlich über das AAWSAP-Projekt, einer privat durchgeführten, aber von einer nachrichtendienstlichen Behörde beauftrag­ten und aus dem geheimen Teil des ameri­kanischen Verteidigungshaushalts budge­tierten, thematisch sehr breit angelegten Untersuchung paranormaler Phänomene und zukünftig möglicher Technologien, die später unter dem Kürzel AATIP in Form einer Bestandsaufnahme des Verteidigungsminis­teriums von jüngeren Pilotensichtungen, darunter die berühmt gewordene »Tic-Tac-UFO-Sichtung« amerikanischer Marineflieger von 2004, fortgesetzt wurde. Das Kapitel be­reitet die Einsicht vor, dass bei sogenannter »geheimer Forschung« unterschieden wer­den muss zwischen Institutionen und Akt­euren des amerikanischen Staats, die ein nicht öffentlich gemachtes Untersuchungs­interesse an UFOs haben (und dabei im ge­läufigen Sinne eines Outsourcing auch auf private Auftragnehmer zurückgreifen), und solchen, die anscheinend insofern selbst schon Teil des Problems sind, als sie bereits über ein weitgehendes Wissen verfügen, dieses aber innerhalb der Institutionen und Behörden selbst vor Verbreitung über einen engen Kreis von Eingeweihten hinaus schützen. Neben dem AAWSAP-Projekt geht das Kapitel dabei auf weitere private For­schungsinitiativen wie die »To the Stars Academy« ein.

Der dritte Hauptabschnitt, »Das streng geheime UFO-Bergungsprogramm«, kon­zentriert sich nun auf die seit 2017 sukzes­sive ins Licht der Öffentlichkeit getretenen Gerüchte um geheime Forschungen an ge­borgenen außerirdischen Fluggeräten, das heißt: auf den bislang spektakulärsten Teil der in Umlauf befindlichen Behauptungen. Der wichtigste Abschnitt des Kapitels dürfte die Zusammenfassung der Aussagen von David Grusch im amerikanischen Kongress vom Juni 2023 sein, mit denen Fleischer das Kapitel eröffnet. Solche Behauptungen sind ihrem generellen Inhalt nach jedoch nicht neu und reichen bis an den Beginn der 1980er Jahre zurück, als erstmals eine Un­tersuchung über den angeblichen Absturz eines UFOs bei Roswell in New Mexico im Jahre 1947 veröffentlicht wurde. Die Sach­lage wird jedoch dadurch zusätzlich kom­pliziert, dass es Belege für gezielte Desin­formationskampagnen seitens nachrichten­dienstlicher Behörden der USA gibt, mit denen ein öffentliches Interesse am Thema als irrational und unseriös stigmatisiert werden sollte. In unserer Gegenwart, in der der Begriff der »Verschwörungstheorie« zum inflationär missbrauchten politischen und wissensgesellschaftlichen Kampfbegriff heruntergekommen ist, ist es nicht leicht, nicht nur über Verschwörungen zu diskutie­ren, sondern auch über Verschwörungen zur Vortäuschung von Verschwörungen und zur Vortäuschung der Nichtexistenz von Verschwörungen. Der Verfasser kann in die­sem Zusammenhang durchaus plausibel machen, dass es sich bei der bekannten Affäre um Robert Lazar mutmaßlich um eine Desinformations-Operation gehandelt hat, während der ebenfalls bekannt gewor­dene Philip Corso dagegen wohl nur ein in­dividueller Schwindler gewesen ist. Flei­scher unterscheidet dabei zwischen »redu­zierender Desinformation«, die mittels Weglassen von Informationen der Bagatelli­sierung von Beobachtungen und Ereignissen dient, und »expandierender Desinforma­tion« wie der Bennewitz-Affäre und den aus ihr hervorgehenden gefälschten Majestic-12-Dokumenten, die ein Thema durch ge­zielte Übertreibung und Überspitzung in der Öffentlichkeit ad absurdum führen soll. Ein Vorzug der gegenwärtigen Situation besteht freilich darin, dass die privaten »ufologi­schen« Fachorganisationen es im Wesentli­chen dem amerikanischen Kongress über­lassen können (und wohl müssen), die Wahrheit hinter all diesen Verschwörungs­theorien herauszufinden. Die traditionell tendenziöse Berichterstattung in den Me­dien, auf die Fleischer ebenfalls eingeht, ist im Vergleich dazu bloß eine altbekannte, lästige Routine.

Im vierten und letzten Hauptabschnitt, »UFOs und das Universum jenseits der Wirklichkeit«, stellt Fleischer Überlegungen dazu an, in was für eine Situation die Menschheit durch eine erwiesene Präsenz von Außerirdischen versetzt würde. In die­sem Zusammenhang geht er auf einen auch innerhalb der UFO-Forschungsgemeinschaft oft und gerne unterschlagenen oder baga­tellisierten Aspekt des Phänomens ein: seine regelmäßig zu beobachtende Über­schneidung mit paranormalen Phänomenen wie »Lichtkugeln, bizarre[n] Tiere[n] und Vögel[n] sowie poltergeistähnliche[n] Phänomene[n]« (S. 406). Auch die Untersucher des AAWSAP-Projekts auf der als paranormaler Hotspot bekannt gewordenen Ranch in Utah wurden in diesem Zusammenhang zwar reißerisch, aber durchaus nicht grundlos als die »Wer­wolfforscher von der Skinwalker-Ranch« be­zeichnet. Wenngleich nur knapp, bringt Fleischer in diesem Zusammenhang die grundlegenden Überlegungen von Jacques Vallée zur Sprache, denen zufolge es sich bei den weltweiten UFO-Begegnungen um ein Programm zur gezielten Bewusstseins- und Verhaltensbeeinflussung der Mensch­heit durch eine nichtmenschliche (aber nicht zwingend außerirdische) Intelligenz handeln könnte. Vallées Ansatz dürfte der­jenige sein, der die paranormalen Begleiter­scheinungen des Phänomens am systema­tischsten ernst nimmt. Unter Zwischenüber­schriften wie »Der Riss in der Matrix« und »Blick über den Rand der Untertasse« stellt Fleischer dann auch Überlegungen an, wel­che Implikationen sich aus dem Phänomen für unser naturwissenschaftliches Weltbild ergeben könnten. Dazu geht er auch auf Bemühungen ein, die durch Illobrand von Ludwiger in Fachkreisen bekannt gewordene (weit berühmt in engen Kreisen) sechsdi­mensionale Kosmologie von Burkhard Heim sowie analoge Modelle weiterzuentwickeln. Dieser spekulative Ausblick erscheint ver­dienstvoll, da er auf eine mögliche Konse­quenz eines verifizierten Alien-Kontakts vorbereitet: Als wahrscheinliche Folge eines solchen Kontakts wird in der exosoziologi­schen Betrachtung mit einem »ontologi­schen Schock«, einer kulturellen und welt­anschaulichen Erschütterung unserer kol­lektiven Gewissheiten, gerechnet, dem die Menschheit ausgesetzt wäre. Möglicher­weise würde dieser aber weniger in der zur Gewissheit gewordenen Präsenz von Au­ßerirdischen auf der Erde als solcher beste­hen als vielmehr in dem, was Außerirdische uns über den Aufbau und die Natur des Universums zu erzählen hätten. Der »onto­logische Schock« wäre dann in seinem Kern ein kosmologischer Schock. Dass uns auch Robert Fleischer hierzu nur Spekulationen anbieten kann, liegt freilich in der immer noch intransparenten Natur der derzeitigen Umstände.

Wenn ich im Titel dieser Rezension Flei­schers Buch eine »Summe« im Sinne der Scholastik nenne, dann will ich damit nicht unterstellen, es handele sich bloß um die Begründung eines Glaubenssystems. Es ist eine Summe im Sinne der Zusammenfas­sung eines aktuellen Wissensstands. Es handelt sich jedoch nicht um ein Handbuch, das einen chronologischen Längsschnitt des Problems lieferte, sondern um eine materi­alreiche Fortschreibung und Zuspitzung exosoziologischer Ausgangsüberlegungen, die ihren inhaltlichen Schwerpunkt bei den Entwicklungen im 21. Jahrhundert setzt. Damit weisen sich Zielsetzung und Durch­führung der vorgelegten Argumentation als nicht nur »ufologisch«, sondern tatsächlich als genuin exopolitisch aus: Das Buch kann als ein nach langen Jahren der Kontroverse schließlich erfolgreiches Plädoyer für die These verstanden werden, dass es in unse­rer Gegenwart nicht mehr bloß darauf an­komme, das UFO-Phänomen als Anomalie zu erforschen, sondern darauf, sich auf die Gestaltung der politischen Beziehungen mit Außerirdischen als realistischer Möglichkeit einzustellen. Auch wenn das allerletzte Wort (voraussichtlich in amerikanischem Englisch) zu diesem Thema noch ein Weil­chen nicht gesprochen sein wird: Robert Fleischer hat zumindest für den deutschen Sprachraum erfolgreich den Begründungs­aufwand geleistet, der erforderlich ist, um die exopolitische Ausgangsthese nunmehr endgültig als seriöse Wortmeldung ernst zu nehmen. Um die bekannteste der Marx­schen Feuerbachthesen zu variieren: »Die UFO-Forscher haben die Außerirdischen nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu begrüßen.« Es dürfte nur eine sehr geringe Zahl von Angehörigen der UFO-Forschungsgemeinschaft geben, die im Thema so versiert sind, dass sie sich die Lektüre des Werks auch sparen könnten. Für den Rezensenten war die Lektüre je­denfalls in vielen Details über seinen Wis­sensstand hinaus erhellend. Somit ist das Buch en gros et en détail, also uneinge­schränkt, zur Lektüre zu empfehlen!

Ingbert Jüdt ∗ ∗ ∗ ∗ ∗

512 S., geb., ISBN: 978-3910972001, Preis: 25,00 €

Tiger Press
www.tiger-press.de
Frankfurt a. M., 2024

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Quelle: JUFOF Nr. 273, 3/2024: 86 ff

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