Gerhard Wiechmann: Von der deutschen Flugscheibe zum Nazi-UFO

Metamorphosen eines medialen Phantoms 1950-2020


Eine der vielen Verschwörungstheorien hat zum Inhalt, dass die Nazis während des Zweiten Weltkriegs fortschrittliche Flug­scheiben entwickelt hätten, die gegen Ende des Krieges auch geflogen sein sollen und kriegsentscheidend gewesen wären, wenn sie denn rechtzeitig produziert worden wä­ren. Viele Anhänger dieser Theorie gehen sogar davon aus, dass die sogenannten Vril- und Haunebu-Flugscheiben mit Hilfe von Antigravitationstechnologie betrieben wur­den und heutzutage beobachtete UFOs Wei­terentwicklungen dieser Flugscheiben sind. Einige der Behauptungen, die in dieser The­orie aufgestellt werden, sind besonders bi­zarr. So sollen die Nazis in der Lage gewe­sen sein, Zeitreisen durchzuführen und mit den Flugscheiben fremde Sonnensysteme oder z. B. das Aldebaran-System anzuflie­gen[1], um Kontakte mit Außerirdischen zu pflegen. Diese Verschwörungstheorie basiert auf keinerlei wissenschaftlichen Beweisen und wird von Historikern und Wissen­schaftlern abgelehnt. Es gibt keine Beweise dafür, dass die Nazis tatsächlich solche Technologien entwickelt haben und dass sie in der Lage waren, damit Fluggeräte herzu­stellen, die der Technologie unserer heuti­gen Zeit entsprechen, oder sie sogar mit ei­ner exotischen Antriebstechnologie auszu­statten.

Trotz der offensichtlichen Mängel dieser Verschwörungstheorie gibt es immer noch Menschen, die an diese Geschichte glauben. Die Theorie hat auch in der Popkultur, ins­besondere in der Science-Fiction-Literatur, in Filmen wie „IRON SKY“[2] und in TV-Doku­mentationen[3] Einzug gehalten. Selbst der bekannte Hersteller von Modellbausätzen, die Firma Revell, bot 2018 einen Bausatz ei­ner sogenannten Haunebu-Flugscheibe an und beschrieb sie im Verpackungstext so, als hätte es dieses Fluggerät tatsächlich ge­geben.[4] Es ist daher wichtig, zwischen Fik­tion und Realität zu unterscheiden und sich von Verschwörungsnarrativen fernzuhalten, die keinerlei Beweise oder Grundlage ha­ben.

Doch wie ist diese Verschwörungstheorie überhaupt entstanden? Gerhard Wiechmann hat sich auf Spurensuche begeben und ver­sucht, dem Ursprung des medialen Phäno­mens auf den Grund zu gehen. Denn um ein solches handelt es sich. Der Autor geht dabei sehr akribisch vor und dröselt Zu­sammenhänge auf, die selbst Insidern bis­her verborgen waren. Wer hätte beispiels­weise gedacht, dass ausgerechnet die Bun­deswehr dazu beigetragen hat, den Mythos zu legitimieren.

Nachdem Kenneth Arnold im Juni 1947 während des Fluges in seiner Privatmaschine neun ungewöhnliche Flugkörper ge­sehen hatte, nahm das Thema „Fliegende Untertassen“ so richtig Fahrt auf. Plötzlich wurden in den USA überall welche gesehen und spektakuläre Fälle, wie z. B. der Ab­sturz von Thomas F. Mantell, heizten das Thema an.  

Doch die Grundsteine für die Nazi-UFO-Legende legten der SF-Autor Robert A. Heinlein und der Autor Ladislao Szabó. In Heinleins 1947 erschienenem Roman „Ro­cket Ship Galileo“[5] sollte der Mond erst­mals von Menschen betreten werden. Dabei stellte man fest, dass der Mond bereits von „Nazis“ mit ihren Raumschiffen „Wotan“ und „Thor“ besetzt war (Die Filme „IRON SKY“ lassen grüßen).

Im selben Jahr erschien von dem Autor Ladislao Szabó das Sachbuch „Hitler esta vivo“[6] („Hitler lebt“), in dem er mehrere Ereignisse, darunter die deutsche Antarktisexpedition mit dem Forschungsschiff „Schwabenland“ und die Flucht zweier deutscher U-Boote nach Argentinien dahin­gehend interpretierte, dass Hitler und an­dere Nazi-Größen noch leben würden. Szabó sei sich sicher, dass Hitler in der Antarktis warten würde, um zu einem späteren pas­senden Zeitpunkt erneut ins Weltgeschehen einzugreifen. Damit waren die ersten bei­den Grundsteine für die Bildung der Nazi-UFO-Legende gelegt.

Als im März 1950 der italienische Ingeni­eur Giuseppe Belluzzo in einem Artikel in einer Tageszeitung die Behauptung auf­stellte, die Fliegenden Untertassen seien in Italien und Deutschland erfunden worden und er selbst habe Pläne für eine entwor­fen, entstand der Mythos von den „Nazi-UFOs“. Tatsächlich gab es solche Entwicklungsansätze einzelner Ingenieure, die aber nicht über die zeichnerische Umsetzung von Ideen hinausgingen. Für die Produktion von flugfähigen Prototypen, eine Serienproduk­tion oder gar den Einsatz unkonventioneller Antriebe gibt es keine historischen Belege. Angebliche Fotos solcher Flugscheiben, die im Internet und in entsprechenden Publika­tionen kursieren, sind m. E. allesamt ge­fälscht.

Wiechmann beschreibt in den weiteren Kapiteln, wie die Medien das Thema aufge­griffen haben, wie es sich hierzulande ver­breitete und welche Protagonisten eine wichtige Rolle dabei spielten. So griff sogar der „Spiegel“ am 30.03.1950 das Thema auf und berichtete über die Ideen des Flug­zeugbau-Ingenieurs Rudolf Schriever, der seinen Angaben zufolge 1942 damit begon­nen hatte, einen Flugkreisel zu entwickeln. Angeblich seien leider seine Pläne 1948 ebenso gestohlen worden wie sein einziges Handmodell. Schrievers Entwurf griffen 1950 und in den Jahren danach zahlreiche andere Publikationen auf und berichteten, dass das Rätsel der „Fliegenden Untertassen“ damit wohl gelöst sei.

1958 stellte der Konstrukteur Andreas Epp sein Modell eines diskusförmigen Flug­geräts vor. 40 Jahre später meldete der Au­tor Klaus-Peter Rothkugel dieses Fluggerät, den sogenannten „Omega-Diskus“, zum Pa­tent an. Heute sind von dem Autor zahlrei­che Bücher zum „Geheimnis der deutschen Flugscheiben“ veröffentlicht.

Es würde hier zu weit führen, alle Zu­sammenhänge zu erwähnen, die Gerhard Wiechmann gefunden und verknüpft hat und die letztendlich bis in die heutige Zeit die Verschwörungstheorie und den Mythos um die „Nazi-UFOs“ am Leben halten.    

„Von der deutschen Flugscheibe zum Nazi-UFO“ ist das Ergebnis einer spannen­den Spurensuche und die wohl umfas­sendste Abhandlung zur Entstehung der Flugscheiben-Legende. Der Autor hat die mediale Berichterstattung und die Kommu­nikationswege zwischen den wesentlichen Akteuren analysiert, die mit ihren Phanta­sien dazu beigetragen haben, die Flug­scheiben-Legende zu schaffen und bis in die heutige Zeit zu verbreiten. Wiechmanns Forschung ist tiefgründig und seine Er­kenntnisse sind gut strukturiert, was das Buch zu einer äußerst lesenswerten Lektüre macht. Mit seinen gründlichen Recherchen und Analysen stellt sein Werk zweifellos eine der umfassendsten und interessantes­ten Veröffentlichungen zur Entstehung des „Nazi-UFO-Mythos“ dar.

Hans-Werner Peiniger   


[1]https://www.jufof.de/2011/01/unternehmen-aldeberan-1997/

[2]https://de.wikipedia.org/wiki/Iron_Sky_(Film) und https://de.wikipedia.org/wiki/Iron_Sky:_The_Coming_Race

[3]UFOs im Dritten Reich Doku – 2017 https://www.youtube.com/watch?v=TbMrK2hBraE

[4]https://www.stern.de/wirtschaft/news/revell-nimmt-umstrittene-reichsflugscheibe–haunebu-2–aus-dem-sortiment-8132254.html

[5]Erschien 1951 unter dem Titel „Endstation Mond“ in Deutschland. Die Originalausgabe als PDF liegt für GEP-Mitglieder in der GEPCloud.

[6]Verlag: El Tábano, Buenos Aires, 1947


Brill Schöningh
www.schoeningh.de
Paderborn, 2022

Hier erhältlich

Quelle: JUFOF Nr. 266, 2/2023: 49 ff